Hochgeehrte Versammlung! In der Vaterstadt Beethoven’s, des gewaltigsten unter den Heroen der Tonkunst, schien mir zur Besprechung in einem größeren Kreis kein Gegenstand geeigneter als die Musik. Ich will daher, der Richtung folgend, die meine Arbeiten in der letzten Zeit genommen haben, versuchen, Ihnen auseinanderzusetzen, was Physik und Physiologie über die geliebteste Kunst des Rheinlandes, über Musik und musikalische Verhältnisse zu sagen wissen. Die Musik hat sich bisher mehr als jede andere Kunst der wissenschaftlichen Behandlung entzogen. Dichtkunst, Malerei und Bildhauerei entnehmen wenigstens das Material für ihre Schilderungen aus der Welt der Erfahrung; sie stellen Natur und Menschen dar. Nicht bloß kann dieses ihr Material auf seine Richtigkeit und Naturwahrheit kritisch untersucht werden, sondern auch in der Erforschung der Gründe für das ästhetische Wohlgefallen, welches die Werke dieser Künste erregen, hat die wissenschaftliche Kunstkritik, wenn auch enthusiastische Seelen ihr dazu oft die Berechtigung bestreiten, unverkennbare Fortschritte gemacht. In der Musik dagegen behalten, wie es scheint, vorläufig noch diejenigen recht, welche die kritische »Zergliederung ihrer Freuden« von sich weisen. Diese Kunst, die ihr Material nicht aus der sinnlichen Erfahrung nimmt, die nicht die Außenwelt zu beschreiben, nur ausnahmsweise sie nachzuahmen sucht, entzieht dadurch der wissenschaftlichen Betrachtung die meisten Angriffspunkte, welche die anderen Künste darbieten, und erscheint daher in ihren Wirkungen ebenso unbegreiflich und wunderbar, wie sie mächtig ist. Wir müssen und wollen uns deshalb vorläufig auf die Betrachtung ihres künstlerischen Materials, der Töne oder Tonempfindungen, beschränken. Es hat mich immer als ein wunderbares und besonders interessantes Geheimnis angezogen, dass gerade in der Lehre von den Tönen, in den physikalischen und technischen Fundamenten der Musik, die unter allen Künsten in ihrer Wirkung auf das Gemüt als die stoffloseste, flüchtigste und zarteste Urheberin unberechenbarer und unbeschreiblicher Stimmungen erscheint, die Wissenschaft des reinsten und konsequentesten Denkens, die Mathematik, sich so fruchtbar erwies. Der Generalbass ist ja eine Art angewandter Mathematik; in der Abteilung der Tonintervalle, der Taktteile u. s. w. spielen die Verhältnisse ganzer Zahlen – zuweilen sogar Logarithmen – eine hervorragende Rolle. Mathematik und Musik, der schärfste Gegensatz geistiger Tätigkeit, den man auffinden kann, und doch verbunden, sich unterstützend, als wollten sie die geheime Konsequenz nachweisen, die sich durch alle Tätigkeiten unseres Geistes hinzieht, und die auch in den Offenbarungen des künstlerischen Genius uns unbewusste Äußerungen geheimnisvoll wirkender Vernunftmäßigkeit ahnen lässt. Indem ich die physikalische Akustik vom physiologischen Standpunkt aus betrachtete, d. h. näher der Rolle nachging, welche dem Ohr in der Wahrnehmung der Töne zuerteilt ist, schien sich manches in seinem Zusammenhang klarer darzustellen; und so will ich denn versuchen, ob ich Ihnen einiges von dem Interesse mitteilen kann, welches diese Fragen in mir erregt haben, indem ich Ihnen etliche Ergebnisse der physikalischen und physiologischen Akustik anschaulich zu machen suche. Die Kürze der zugemessenen Zeit fordert, dass ich mich auf einen Hauptpunkt beschränke; ich will aber den wichtigsten herausgreifen, an welchem Sie zugleich am besten erkennen werden, welche Bedeutung und Ergebnisse wissenschaftliche Untersuchungen in diesem Gebiet haben können, nämlich die Frage nach dem Grund der Konsonanz. Tatsächlich steht fest, dass die Schwingungszahlen konsonanter Töne immer im Verhältnis kleiner ganzer Zahlen zueinander stehen. Aber warum? Was haben die Verhältnisse der kleinen ganzen Zahlen mit der Konsonanz zu tun? Es ist dies eine alte Rätselfrage, die schon Pythagoras der Menschheit aufgegeben hat, und die bisher ungelöst geblieben ist. Sehen wir zu, ob wir sie mit den Hilfsmitteln der modernen Wissenschaft beantworten können. Zuerst, was ist ein Ton? Schon die gemeine Erfahrung lehrt uns, dass alle tönenden Körper in Zitterungen begriffen sind. Wir sehen und fühlen dieses Zittern, und bei starken Tönen fühlen wir, selbst ohne den tönenden Körper zu berühren, das Schwirren der uns umgebenden Luft. Spezieller zeigt die Physik, dass jede Reihe von hinreichend schnell sich wiederholenden Stößen, welche die Luft in Schwingung versetzt, in dieser einen Ton erzeugt. Musikalisch wird der Ton, wenn die schnellen Stöße in ganz regelmäßiger Weise und in genau gleichen Zeiten sich wiederholen, während unregelmäßige Erschütterungen der Luft nur Geräusche geben.
Die Höhe eines musikalischen Tones hängt von der Zahl solcher Stöße ab, die in gleicher Zeit erfolgen; je mehr Stöße in derselben Zeit, desto höher der Ton. Dabei stellt sich, wie bemerkt, ein enger Zusammenhang zwischen den bekannten harmonischen, musikalischen Intervallen und der Zahl der Luftschwingungen heraus. Wenn bei einem Ton zweimal so viel Schwingungen in derselben Zeit geschehen wie bei einem anderen, so ist er die höhere Oktave dieses anderen. Ist das Verhältnis der Schwingungen in gleicher Zeit 2:3, so bilden beide Töne eine Quinte, ist es 4:5, so bilden sie eine große Terz. Wenn Sie sich merken, dass die Anzahl der Schwingungen bei den Tönen des Durakkords CEGC im Verhältnis der Zahlen 4:5:6:8 steht, so können Sie daraus alle anderen Tonverhältnisse herleiten, indem Sie über jeden der genannten Töne sich einen neuen Durakkord gebaut denken, der dieselben Schwingungsverhältnisse zeigt. Die Zahl der Schwingungen ist, wie sich bei einer nach dieser Regel angestellten Berechnung ergibt, innerhalb des Gebietes der hörbaren Töne außerordentlich verschieden. Da die höhere Oktave eines Tones zweimal so viele Schwingungen macht als ihr Grundton, so macht die zweit höhere viermal, die dritte achtmal so viele. Unsere neueren Pianofortes umfassen sieben Oktaven; ihr höchster Ton macht deshalb 128 Schwingungen in derselben Zeit, in welcher ihr tiefster eine Schwingung vollführt. Das tiefste C, das unsere Klaviere zu haben pflegen, und das die sechszehnfüßigen offenen Pfeifen der Orgel geben – die Musiker nennen es das Kontra-C –, macht 33 Schwingungen in der Sekunde. Wir nähern uns bei ihm schon den Grenzen des Hörens. Sie werden bemerkt haben, dass diese Töne auf dem Pianoforte einen dumpfen, schlechten Klang haben; es ist schwer, ihre musikalische Höhe, die Reinheit ihrer Stimmung ganz scharf zu beurteilen. Auf der Orgel ist das Kontra-C etwas kräftiger als das der Saiten, aber auch hier fühlt sich das Ohr unsicher über die musikalische Höhe des Tones. Auf den größeren Orgeln findet sich noch eine ganze Oktave unter diesem Kontra-C, bis zu einer 32füßigen Pfeife, die das nächst tiefere C von 16½ Schwingungen in der Sekunde gibt; aber das Ohr empfindet diese Töne kaum noch als etwas anderes, denn als ein dumpfes Dröhnen, und je tiefer sie sind, desto deutlicher unterscheidet es in ihnen die einzelnen Luftstöße. Sie werden deshalb musikalisch auch nur zur Verstärkung des Tones der nächst höheren Oktave gebraucht, dem sie den Eindruck größerer Tiefe geben. Mit Ausnahme der Orgel finden die übrigen musikalischen Instrumente, so verschiedene Mittel zur Tonerzeugung sie auch anwenden, die Grenze ihrer Tiefe sämtlich ungefähr in derselben Gegend der Tonleiter wie das Klavier; nicht, weil es unmöglich wäre, langsamere Luftstöße von ausreichender Kraft hervorzubringen, sondern weil das Ohr seinen Dienst versagt, weil es langsamere Stöße eben nur als einzelne Stöße empfindet, sie aber nicht zu einem Ton zusammenfasst.
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