Schon mehrere Philosophen haben behauptet, daß der Körper gleichsam der Kerker des Geistes sei, daß er solchen allzusehr an das Irdische hefte und seinen sogenannten Flug zur Vollkommenheit hemme. Wiederum ist von manchem Philosophen mehr oder weniger bestimmt die Meinung gehegt worden, daß Wissenschaft und Tugend nicht sowohl Zweck als Mittel zur Glückseligkeit seien, daß sich alle Vollkommenheit des Menschen in der Verbesserung seines Körpers versammle. Mich däucht, es ist dies von beiden Theilen gleich einseitig gesagt. Letzteres System wird beinahe völlig aus unseren Moralen und Philosophieen verwiesen sein und ist, scheint es mir, nicht selten mit allzu fanatischem Eifer verworfen worden, – es ist gewiß der Wahrheit nichts so gefährlich, als wenn einseitige Meinungen einseitige Widerleger finden; – – Das erstere ist wohl im Ganzen am mehrsten geduldet worden, indem es am fähigsten ist, das Herz zur Tugend zu erwärmen, und seinen Werth an wahrhaftig großen Seelen schon gerechtfertiget hat. Wer bewundert nicht den Starksinn eines Cato, die hohe Tugend eines Brutus und Aurels, den Gleichmuth eines Epiktets und Seneca? Aber dessen ungeachtet ist es doch nichts mehr als eine schöne Verirrung des Verstandes, ein wirkliches Extremum, das den einen Theil des Menschen allzu enthusiastisch herabwürdigt und uns in den Rang idealischer Wesen erheben will, ohne uns zugleich unserer Menschlichkeit zu entladen; ein System, das allem, was wir von der Evolution des einzelnen Menschen und des gesammten Geschlechts historisch wissen und philosophisch erklären können, schnurgerade zuwiderläuft und sich durchaus nicht mit der Eingeschränktheit der menschlichen Seele verträgt. Es ist demnach hier, wie überall, am rathsamsten, das Gleichgewicht zwischen beiden Lehrmeinungen zu halten, um die Mittellinie der Wahrheit desto gewisser zu treffen. Da aber gewöhnlicher Weise mehr darin gefehlt worden ist, daß man zu viel auf die eigene Rechnung der Geisteskraft, insofern sie außer Abhängigkeit von dem Körper gedacht wird, mit Hintansetzung dieses letztern geschrieben hat, so wird sich gegenwärtiger Versuch mehr damit beschäftigen, den merkwürdigen Beitrag des Körpers zu den Aktionen der Seele, den großen und reellen Einfluß des thierischen Empfindungssystemes auf das Geistige in ein helleres Licht zu setzen. Aber darum ist das noch gar nicht die Philosophie des Epikurus, so wenig es Stoicismus ist, die Tugend für das höchste Gut zu halten. Ehe wir die höheren moralischen Zwecke, die mit Beihilfe der thierischen Natur erreicht werden, zu erforschen suchen, müssen wir zuerst ihre physische Notwendigkeit festsetzen und in einigen Grundbegriffen einig werden. Darum der erste Gesichtspunkt, aus welchem wir den Zusammenhang der beiden Naturen betrachten. PHYSISCHER ZUSAMMENHANG. Thierische Natur befestiget die Thätigkeit des Geists. §. 2. Organismus der Seelenwirkung – der Ernährung – der Zeugung. Alle Anstalten, die wir in der sittlichen und körperlichen Welt zur Vollkommenheit des Menschen gewahrnehmen, scheinen sich zuletzt in den Elementarsatz zu vereinigen: Vollkommenheit des Menschen liegt in der Uebung seiner Kräfte durch Betrachtung des Weltplans; und da zwischen dem Maße der Kraft und dem Zweck, auf den sie wirket, die genaueste Harmonie sein muß, so wird Vollkommenheit in der höchstmöglichsten Thätigkeit seiner Kräfte und ihrer wechselseitigen Unterordnung bestehen. Aber die Thätigkeit der menschlichen Seele ist – aus einer Nothwendigkeit, die ich noch nicht erkenne, und auf eine Art, die ich noch nicht begreife – an die Thätigkeit der Materie gebunden. Die Veränderungen in der Körperwelt müssen durch eine eigene Klasse mittlerer organischer Kräfte, die Sinne, modificiert und so zu sagen verfeinert werden, ehe sie vermögend sind, in mir eine Vorstellung zu erwecken; so müssen wiederum andere organische Kräfte, die Maschinen der willkürlichen Bewegung, zwischen Seele und Welt treten, um die Veränderung der ersteren auf die letztere fortzupflanzen; so müssen endlich selbst die Operationen des Denkens und Empfindens gewissen Bewegungen des innern Sensoriums correspondieren. Alles dieses macht den Organismus der Seelenwirkungen aus. Aber die Materie ist ein Raub des ewigen Wechsels und reibt sich selbst auf, so wie sie wirket, unter der Bewegung wird das Element aus seinen Fugen getrieben, verjagt und verloren. Weil nun im Gegentheil das einfache Wesen, die Seele, Dauer und Bestandheit in sich selber hat und in ihrem Wesen weder gewinnet noch verlieret, so kann die Materie nicht gleichen Schritt mit der Geistesthätigkeit halten, und bald würde also der Organismus des geistigen Lebens, mit ihm alle Wirksamkeit der Seele dahin sein. Dies nun zu verhüten, mußte ein neues System organischer Kräfte zu dem ersten gleichsam angereihet werden, das seine Consumtionen ersetzt und seinen sinkenden Flor durch eine stetig an einander hangende Kette neuer Schöpfungen erhält. Dies ist der Organismus der Ernährung. Noch mehr. Nach einem kurzen Zeitraum von Wirkung, nach dem aufgehobenen Gleichgewicht zwischen Verlust und Erneuerung tritt der Mensch von der Bühne des Lebens, und das Gesetz der Sterblichkeit entvölkert die Erde.
Auch hat die Anzahl empfindender Wesen, die die ewige Liebe und Weisheit in ein glückliches Dasein wollte gerufen haben, nicht Raum genug, in den engen Grenzen dieser Welt zumal zu existieren, und das Leben dieser Generation schließt das Leben einer andern aus. Darum ward es nothwendig, daß neue Menschen an die Stelle der weggeschiedenen alten treten und das Leben durch ununterbrochene Successionen erhalten würde. Aber geschaf en wird nichts mehr, und was nun Neues wird, wird es nur durch Entwicklung. Die Entwicklung des Menschen mußte durch Menschen geschehen, wenn sie mit der Consumtion im Verhältniß stehen, wenn der Mensch zum Menschen gebildet werden sollte. Aus diesem Grund wurde ein neues System organischer Kräfte den zwei vorhergehenden zugeordnet, das die Belebung und Entwicklung des Menschenkeims zur Absicht hatte. Dies ist der Organismus der Zeugung. Diese drei Organismi, in den genaueren Lokal- und Realzusammenhang gebracht, bilden den menschlichen Körper. §. 3. Der Körper. Die organischen Kräfte des menschlichen Körpers theilen sich von selbst in zwei Hauptklassen: die erste enthält diejenigen, die wir nach keinen bekannten Gesetzen und Phänomenen der physischen Welt begreifen können, und dahin gehören die Empfindlichkeit der Nerven und die Reizbarkeit des Muskels. Da es bisher unmöglich war, in die Oekonomie des Unsichtbaren einzudringen, so hat man die unbekannte Mechanik durch die bekannte zu erklären gesucht und den Nerven als einen Kanal betrachtet, der ein äußerst feines, flüchtiges und wirksames Fluidum führet, das an Geschwindigkeit und Feinheit Aether und elektrische Materie übertreffen soll, und hat dieses als das Principium der Empfindlichkeit und Beweglichkeit angesehen und ihm daher den Namen der Lebensgeister gegeben. So hat man ferner die Reizbarkeit der Muskelfaser in einen gewissen Nisum gesetzt, sich auf Veranlassung eines fremden Reizes zu verkürzen und beide Endpunkte näher zu bringen. Diese zweierlei Principien machen den specifiken Charakter des thierischen Organismus. Die zweite Klasse begreift diejenigen, die wir den allgemeinen bekannten Gesetzen der Physik unterordnen können. Hieher rechne ich die Mechanik der Bewegung und die Chemie des menschlichen Körpers, woraus das vegetabilische Leben erwächst. Vegetation also und thierische Mechanik, auf das genaueste vermischt, bilden eigentlich das physische Leben des menschlichen Körpers. §. 4. Thierisches Leben. Noch ist das nicht alles. Da der Verlust mehr oder weniger in der Willkür des Geistes liegt, so mußte es auch nothwendig der Ersatz sein. Ferner, da der Körper allen Folgen der Zusammensetzung unterworfen und im Kreis der um ihn wirkenden Dinge unzähligen feindlichen Wirkungen bloßgestellt ist, so mußte es in der Gewalt der Seele stehen, ihn wider den schädlichen Einfluß dieser letztern zu beschützen und ihn mit der physischen Welt in diejenigen Verhältnisse zu bringen, die seiner Fortdauer am zuträglichsten sind; sie mußte daher von dem gegenwärtigen schlimmen oder guten Zustand ihrer Organe unterrichtet werden; sie mußte aus seinem schlimmen Zustand Mißvergnügen, aus seinem Wohlstand Vergnügen schöpfen, um ihn entweder zu verlängern oder zu entfernen, zu suchen oder zu fliehen. Hier also wird schon der Organismus an das Empfindungsvermögen gleichsam angeknüpft und die Seele in das Interesse ihres Körpers gezogen. Jetzt ist es etwas mehr als Vegetation, etwas mehr als todter Model und Nerven- und Muskel-Mechanik, jetzt ist es thierisches Leben.
2 Der Flor des thierischen Lebens ist, wie wir wissen, für den Flor der Seelenwirkungen äußerst wichtig und darf ohne die Totalaufhebung dieser letztern niemals aufgehoben werden. Er muß also einen festen Grund haben, der ihm nicht so leicht schwanke, das heißt, die Seele muß durch eine unwiderstehliche Macht zu den Handlungen des physischen Lebens bestimmt werden. Konnten also wohl die Empfindungen des thierischen Wohl- oder Uebelstands geistige Empfindungen sein und durch das Denken erzeugt werden? Wie oft würde sie das überwaltende Licht der Leidenschaften verdunkeln, wie oft Trägheit oder Dummheit begraben, wie oft Geschäftigkeit und Zerstreuung übersehen? Ferner, würde nicht von dem Thiermenschen die vollkommenste Kenntniß seiner Oekonomie gefordert, müßte das Kind nicht in demjenigen Meister sein, in dem unsere Harvey, Boerhave und Haller nach einer fünfzigjährigen Untersuchung noch Anfänger geblieben sind? – Die Seele konnte also schlechterdings keine Idee von dem Zustand haben, den sie verändern soll. Wie wird sie ihn erfahren, wie wird sie in Thätigkeit kommen?
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