| Books | Libros | Livres | Bücher | Kitaplar | Livros |

Die Löwin – Konrad Weiß

Es war noch zeitig am Morgen, aber der Tau war schon vertrocknet. Als wir über die Wiese gegen den Bach zu gingen, fielen plötzlich jenseits auf der Anhöhe mehrere Schüsse. Mein kleiner Bruder zu meiner Rechten, der mit mir das Kind zwischen uns, indem er es hinter dem Fäustchen gefaßt hatte, an seinem rechten Ärmchen führte, zeigte mit seinem ausgestreckten Arme gerade hinüber, sagte: Das sind die Jäger, jetzt wird der Löwe erschossen, und damit verließ er die Hand des Kindes. Mit seinen kurzen bresthaften Beinen lief er schnell auf den Bach zu, wo er an einer schmalen Stelle zwischen dem Schilfrohr den Übergang fand. Gleich darauf sah ich ihn am Abhang hinaufeilen und über der Breite des Hügels verschwinden. Die Sonne war so klar, daß alle Schatten wie Wasser vergingen, und die Morgennebel waren ringsum aufgesogen. Ich hielt das Kind fest und horchte auf Getümmel. Aber weder die wenigen Halme, welche den Saum der Anhöhe übertrafen, noch die Erlen längs des Baches zeigten im mindesten eine Bewegung und kein Blatt rührte sich. Es war, als sei die Sonne mit einem Rucke näher gekommen. Da hob ich das Kind von der Wiese auf, setzte es, während ich sein Gesicht in der Morgensonne fast nicht mehr erkannte, auf meinen rechten Unterarm und ging schräg über die Wiese nach dem Brette zu, das über den Bach gelegt war. Es waren vielleicht zwanzig Schritte; und indem ich das Kind trug, wurde mir einen Augenblick die Anhöhe verdeckt. Es hätte mich darum, als ich meine Blicke vom Umschweifen an den schwarzen Waldwinkeln links in der von der Sonne schon ganz aufgebrochenen Hügelkette des Morgenrandes wieder hinüberschickte, verwundern müssen, woher jene Gestalt so schnell gekommen sein konnte, die offenbar von dem gleichen Walde herein schon den Abhang jenseits herunterkam, wenn ich sie nicht im währenden Sehen erkannt und zu mir selber gesagt hätte: das ist die Löwin. Meine Stimme drang indes nicht zu meinem Innern. Ich blieb mit meinem Blick in dem ihrigen gefangen, sah die Kommende stetig ihren Herweg fortsetzen, und kaum, daß ich zwei, drei Schritte mühsam gemacht hatte, fühlte ich mich noch auf der Wiese rund von einem Wasser umgeben, das viel tiefer war, als es nach der Schneeschmelze in dieser Niederung zu sein pflegt. Es reichte mir bis unter den Arm, auf dem das Kind saß. Die Löwin, nach der es mich anfänglich wie in einem leichten Wirbel unter den Füßen herumdrehte, ging nun, ohne mich weiter zu beachten, noch auf der anderen Seite in einem gestreckten Bogen vorüber und, wie mir schien, auf die Stelle zu, wo mein Bruder den Übergang genommen hatte. Das war die erste Begegnung, dachte ich und suchte den festen Boden zu gewinnen. Das Kind rührte sich nicht, und wenn mein Arm schwer wurde, als ich aus dem Wasser stieg, so hielt es mich dafür mit seinen Ärmchen um den Hals gefaßt. Die wenigen Schritte, die ich noch bis zu dem Brett zurückzulegen hatte, ging ich mit dem Bewußtsein, daß die Löwin hinter mir herkommen würde. Ich schaute nicht zurück. Doch als ich schon fast mit einem Fuße auf dem Brette hinter dem Körper des Kindes durchblickte, um dem Lauf des Baches entlang zu spähen, entdeckte ich sie noch auf der anderen Seite, wo sie ganz am Schilfrande kehrt gemacht hatte und schon unter dem nächsten Baume schnell gegen uns herkam. Sie trat fast gleichzeitig mit mir auf das Brett, das so schmal war, daß man zum Ausweichen sich hätte aneinander halten müssen. Noch ehe ich mich darüber zu klären wußte, was nun geschehen konnte, waren wir in der Mitte, unsere Gesichter waren ineinander getaucht oder deutlicher, ich sah mich vor dem Flächenblitze ihrer nahen und starken Miene aufgerichtet wie in einer heißen Flamme. Obgleich von Gestalt wenig kleiner wie ich ging sie doch leicht und sicher zur Seite vorbei; nur spürte ich ihren Vorübergang beinahe hart an meinem rechten Arme, mit dem ich das Kind vor mich hergezogen hatte. Und diesmal war sie es gewesen, die sich fast um mich gedreht hatte.


Das war die zweite Begegnung. Das Brett hob sich, als ich wohl gleichzeitig mit ihr wieder auf den Wasen trat, aber meine Füße waren schwer, und eigentümlich war es, wie ich das Wasser hinter mir hörte, das zwischen Schilfstöcken in einer Wurzelfalle röhrlte. Auch hob jetzt das Kind seine Arme und indem es über meine Schulter zurückschaute, fing es an zu jubeln und gegen mich zu schaukeln, als ob es ein nun schon bekanntes Gesicht begrüßen wollte. Ich wußte, daß die Löwin wieder hinter mir herkäme. Der hier kaum im sauren Grase sichtbare Fußpfad lief etwa ein Dutzend Schritte gerade fort bis zu der Anhöhe. Rasch hatte ich ihn mit weniger durchmessen; aber nun stieg die Anhöhe in ihrem unteren Teile ziemlich steil auf, der Pfad war hier schmal und glänzte trocken. Ich setzte die Füße an und mußte mich aber bücken, um auch die freie Linke zu brauchen, während das Kind nun fast auf meinen Rücken kommend schaukelte und jubelte und mich noch tiefer drückte. Meine Augen schwammen im Schweiß. Meine Hand konnte den rissigen Weg nicht fassen und, war es mein Atem, den ich unter mich stieß, oder war es der nahende Hall der hinter mir kommenden Schritte der Löwin, ich hörte es im Umkreis heimlich donnern und von einem kühlen Zuge über die Höhe herab erschauerte ich mit den Gräsern. Ich richtete mich auf und sah in den Glanz des Himmels. Dann zog ich das Kind von meiner Schulter herab und setzte es auf meinen linken Arm; denn nun kam die Löwin rechts neben mir herauf. Sie stieg leicht auf dem gerippten Rasen empor und ging, ohne mich anzusehen, voraus bis zu dem Punkte, wo die Steigung des Hügels mäßiger wurde, bis wohin die Äcker von oben herabliefen und von wo an zwischen ihnen die Breite des Pfades für den Gang zweier Menschen berechnet war. Er war wie zwei leuchtende Rinnen, die sich in der Mitte, in einem Streifen dunklen Grases kaum berühren. Dort drehte sich die Löwin um und als sie mich anschaute, wußte ich, daß ich ihr folgen mußte. Ich war schneller, als es sich mit meiner Last zu paaren schien, bei ihr und nun gingen wir Seite an Seite jedes in seiner Rinne aufwärts. Aber das Kind war nicht zwischen uns. Das war die dritte Begegnung. Ich wußte, daß ich auch noch das Kind zwischen uns werde nehmen müssen, und mein Herz war schwer. Als wir schon bald in die Mitte dieses Weges gekommen waren, währenddem ich mehrmals in den Zufällen des schmalen Ganges die kräftige aber weiche Rundung ihrer Brust an meinem rechten Ellenbogen empfunden hatte, während das Kind von meiner linken Seite mit glänzenden Augen unverwandt auf meine Begleiterin herüberschaute — aber der stumme Geist war nicht zwischen uns gewichen — da, während bis dahin die Sonne wie in Stücken auf den Feldern lag und alles wie ausgestorben gewesen war, kamen auf einmal von oben rechts die Männer mit ihren Gewehren gegen uns herab. Sie riefen laut und unverständlich, einige schossen in die Luft und die Entfernung bis zu uns nahm zusehends ab. Bald mußten sie zur Seite anhalten oder unseren Weg kreuzen. Ich zitterte für das Pfand auf meinem Arme und wartete auf die Entscheidung. Auch jetzt, wo jede Bewegung im nächsten Augenblick vor Spannung gelähmt werden mußte, bemerkte ich, gleich wie vorhin das Röhrlen des Wassers, wiederum die Umstände, die blieben oder doch ihren Lauf nicht gegen die Natur beschleunigten, die Trockenheit der Luft, die Dürre des Ackerbodens, der fast silberig war und kaum einen Schatten der kommenden Gestalten annahm. Auch sah ich die Ruhe des Feldes weniger durchstoßen von ihren eiligen Schritten als von den geringen Geschossen der Erdschollen, die durch die Schuhe vom Brachacker losgetreten gegen uns und den Abhang spritzend hinabrollten. Hinten über der Anhöhe vor uns sammelte sich ein leichter Rauch.

.

PDF Herunterladen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

PDF • Kostenlose eBooks © 2020 | Free Books PDF | PDF Kitap İndir | Baixar Livros Grátis em PDF | Descargar Libros Gratis PDF | Telecharger Livre Gratuit PDF |