Broadhurst’s Geschäft war geschlossen, aber im kleinen Hinterzimmer herrschte eine gemütliche Atmosphäre. Das Feuer warf seinen rötlichen Schein an und Decke und die Wände und spiegelte sich fröhlich in den polierten Flaschen und den Gewehren, die an der Wand hingen. Trotzdem waren die beiden Männer, die zu beiden Seiten des Kamins saßen, in düsterer Stimmung, die weder durch das Feuer, noch durch die schwarze Flasche auf dem Tisch gehoben werden konnte. »Mitternacht«, sagte Old Tom, der Ladenbesitzer, mit einem Blick auf die hölzerne Standuhr, die er ’42 mitgebracht hatte. »Da ist etwas faul, George, sie sind nicht gekommen.« »Es ist eine stürmische Nacht«, sagte sein Kamerad, während er nach dem Tabak griff. »Vielleicht ist der Wawirra 2 überflutet oder ihre Pferde sind zusammengebrochen oder sie haben’s verschoben. Großer Gott, wie’s donnert! Leg mal ein paar Kohlen nach, Tom.« Er sprach in einem Ton, der sich sorglos anhören sollte, aber die unterdrückte Unruhe war seinem Gegenüber nicht entgangen. Er warf ihm einen unbehaglichen Blick zu. »Du denkst also, es ist alles in Ordnung, George?« sagte er nach einer Pause. »Was in Ordnung?« »Na, dass die Jungs in Sicherheit sind.« »Natürlich sind sie in Sicherheit. Wer zum Teufel sollte ihnen Schaden zufügen?« »Oh, niemand, da bin ich sicher«, sagte Old Tom. »Es ist so: seit die alte Dame starb, ist Maurice mein Ein und Alles; ich bin immer ein wenig besorgt. Es ist schon eine Woche her, das sie bei der Mine aufgebrochen sind, und eigentlich sollten sie längst hier sein. Aber es ist nichts Ungewöhnliches, denk ich mir, überhaupt nichts. Nur meine verdammte Torheit.« »Was soll schon passieren?« wiederholte George Hutton, mehr um sich selbst zu überzeugen, als seinen Kameraden. »Es ist ein einfacher Weg von den Minen nach Rathurst, dann durch die Hügel zum Bluemansdyke, weiter durch die Furt über den Wawirra und schließlich über die Piste herunter nach Trafalgar. Daran ist doch wirklich nichts Schreckliches, nicht wahr? Mein Sohn Allen ist mir so teuer, wie dir dein Maurice, aber sie kennen die Furt gut und es gibt keine andere gefährliche Stelle. Morgen Abend werden sie ganz sicher hier sein.« »Ich bitte Gott darum!« sagte Broadhurst. Die beiden Männer schwiegen eine Weile, starrten düster ins Feuer und zogen an ihren kurzen Tonpfeifen. Wie Hutton gesagt hatte, es war tatsächlich eine stürmische Nacht.
Der Wind heulte durch die Schluchten der westlichen Berge, wirbelte durch die Straßen von Trafalgar, pfiff durch die Ritzen der groben Holzhütten und riss die zerbrechlichen Schindeln von den Dächern. Die Straßen waren verlassen, abgesehen von ein oder zwei Nachzüglern, die von einer Kneipe nach Hause gingen; sie hatten ihre Mäntel eng um sich geschlagen und stapften gegen Wind und Regen zu ihren Hütten. Die Stille wurde von Broadhurst unterbrochen, der sich immer noch unwohl fühlte. »Sag mal George, was wurde eigentlich aus Josia Mapleton?« »Ist zu den Minen gegangen« »Genau, aber er hat eine Nachricht geschickt, dass er zurückkommt.« »Aber er kam nicht.« »Und was ist mit Jos Humphrey?« fuhr er nach einer Pause fort. »Auch zu die Minen gegangen.« »Genau, ist der schon zurück?« »Vergiss es, Broadhurst, vergiss es«, sagte Hutton, sprang auf und ging in dem kleinen Zimmer auf und ab. »Du machst mich ganz verrückt! Die Männer mussten doch ins Land hinausgehen, um nach Gold zu suchen oder den Boden zu bestellen. Was interessiert’s uns, wo sie hingegangen sind. Ich hab doch keine Aufzeichnungen von jedem Mann in der Kolonie, so wie Inspektor Burton von seinen Knastbrüdern.« »Setz dich, George, und hör zu«, sagte Old Tom. »Da gibt es etwas Merkwürdiges an der Straße, etwas was ich nicht verstehe und nicht leiden kann. Vielleicht erinnerst du dich dran, wie Maloney, der einäugige Schurke, in den ersten Tagen nach Eröffnung der Minen sein Geld zusammengeraubt hat. Der hatte eine Kneipe auf einer Klippe an der Hauptstraße, wo der Lena aus den Hügeln kommt. Sicher hast du auch von der hölzernen Rutsche gehört, die von seinem kleinen Hinterzimmer direkt zum Fluss hinab führte. Einen Mann nach dem anderen hat er mit gepanschten Drinks verarztet und dann über die Rutsche auf die Reise in die Ewigkeit geschickt. Wir werden nie erfahren, wie viele er auf diese Weise beseitigt hat. Aber von allen hat man geglaubt, sie wären in den Minen, Farmer geworden oder dergleichen, bis man ihre Leichen aus den Stromschnellen herausgezogen hat. Es hat zwar keinen Zweck, zu jammern, aber eins sag ich dir, George, wenn die Jungs nicht bis morgen Abend auftauchen, dann schick ich die Berittenen3 den Weg hoch zu den Minen.« »Wie du meinst, Tom«, sagte Hutton. »Wo wir gerade über Maloney reden – da ist was Merkwürdiges passiert«, sagte Broadhurst. »Jack Haldane schwört, einen Mann gesehen zu haben, der aussah wie Maloney, nur zehn Jahre älter. Das war im Busch am Montag. Vermutlich war’s ein Zufall, es ist kaum denkbar, das es noch ein paar Schultern gibt, auf denen der Kopf eines so gewalttätigen Verbrechers sitzt.
« »Jack Haldane ist ein Dummkopf«, murrte Hutton, riss die Tür auf und sah besorgt in das Dunkel hinaus, während der Wind mit seinem langen, ergrauten Bart spielte und Funken aus seiner Pfeife die Straße hinunter blies. »Eine schreckliche Nacht!« sagte er, als er zum Feuer zurückkehrte. Ja, es war eine wilde, stürmische Nacht; eine Nacht für lichtscheues Gesindel und Raubtiere. Genau das richtige Wetter für die sieben Männer, die in der Schlucht am Bluemansdyke auf der Lauer lagen, mit Revolvern in den Händen und dem Teufel im Herzen. * Als die Sonne aufging, hatte sich der Sturm gelegt. Dichter Nebel stieg über dem durchnässten Boden auf und legte sich wie ein Schleier über die aufstrebende, kleine Stadt Trafalgar. In bläulichen Schwaden zog der Dunst über das Buschland im Umkreis, die Berge im Westen ragten daraus hervor wie eine große Insel aus schäumender See. Irgendetwas war in der Stadt nicht in Ordnung, das konnte man selbst mit dem oberflächlichsten Blick sofort feststellen. Überall konnte man ein Rufen und das Tappen eilender Füße hören. Türen wurden zugeschlagen und Fensterläden lautstark aufgestoßen. Ein Polizist von der berittenen Truppe mit dem Karabiner in der Hand kam lärmend die Straße hinunter. Es war schon längst an der Zeit, die Arbeit in Joe Buchan’s Sägewerk aufzunehmen, aber das große Rad stand still, die Arbeiter waren nicht erschienen. Eine zusammengedrängte Menge stand auf der Hauptstraße vor Tom Broadhurt’s Haus und erzeugte ein lautes Stimmgewirr. »Was ist los?« wollten die atemlosen Neuankömmlinge wissen. »Broadhurst hat seinen Freund erschossen.« »Er hat sich die Kehle aufgeschlitzt.« »Er hat im Lehmboden seiner Küche Gold gefunden.« »Nein, es war sein Sohn Maurice, der reich nach Hause gekommen ist.« »Der gar nicht zurückgekommen ist.« »Dessen Pferd ohne ihn angekommen ist.« Schließlich stellte sich heraus, dass der alte Rotbraune, um den es ging, wiehernd und seinen Hals an der vertrauten Tür reibend vor dem Stall stand, als ob er um Einlass ersuchen würde. Zwei alte, abgehärmte, grauhaarige Männer hielten ihn von beiden Seiten am Zügel fest und starrten auf seinen dampfenden Rücken. »Gott helfe mir«, sagte der alte Tom, »es ist gekommen, wie ich es befürchtet habe.« »Beruhige dich, alter Freund«, sagte Hutton, und zog seinen groben Strohhut hinunter bis zu den Augenbrauen. »Noch gibt es Hoffnung.
« Ein freundliches und aufmunterndes Murmeln erklang von der Menge. »Das Pferd ist wohl fortgelaufen.« »Oder es wurde gestohlen.« »Oder er ist durch den Wawirra geschwommen und wurde weggespült«, bemerkte jemand aus der Menge tröstend. »Es gibt keine Zeichen von Verletzungen«, sagte ein anderer. »Der Reiter ist vielleicht im Suff heruntergefallen«, bemerkte ein alter Schäfer rau aber herzlich. »Ich kann mich noch erinnern, wie ich selbst mal um die Uhrzeit in die Stadt gekommen bin. Mein Kopf befand sich im Holster und ich dachte ich wäre ein sechsschüssiger Revolver – Mann war ich da besoffen.« »Maurice hatte einen guten Sattel, der wäre nie fortgespült worden.« »Natürlich nicht.« »Das Pferd hat eine Strieme da an der Seite«, sagte einer aus der Menge, der etwas genauer hingesehen hatte, wie alle anderen. »Vielleicht von einem Schlag mit der Peitsche.« »Das muss aber ein verdammt harter Schlag gewesen sein.« »Wo ist Chicago-Bill?« fragte jemand. »Der kennt sich mit sowas aus.« Auf diese Weise gerufen, trat eine finstere Gestalt vor die Menge. Es war ein sehr großer und starker Mann mit einem roten Hemd und den Stiefeln eines Goldgräbers. Das Hemd stand offen, der sehnige Hals und die breite Brust waren unbedeckt. In seinem Gesicht konnte man die Falten und Narben vieler Kämpfe sehen – sowohl mit der Natur als auch mit seinen Mitmenschen. Trotz seines groben Erscheinungsbildes hatte er doch etwas Vornehmes in seinemAuftreten. Dieser Mann war ein Goldsucherveteran, ein echter kalifornischer Neunundvierziger4, der die Goldfelder widerwillig verlassen hatte, als die privaten Unternehmen von den großen Gesellschaften mit ihren schweren Maschinen verdrängt wurden. Aber der rote Ton mit den kleinen, glänzenden Punkten war für ihn so wichtig geworden, wie zu atmen und er war um die halbe Welt gereist, um wieder danach zu suchen. »Hier ist der Chicago Bill«, sagte er, »was gibt’s?« Die Leute betrachteten Bill als unfehlbaren Experten für alles Mögliche; diesen Ruf verdankte zum einen seiner Tapferkeit und zum anderen den verschiedenen Erfahrungen seines Lebens. Alle Köpfe wendeten sich ihm zu, als Braxton, der junge Ire von der Polizeitruppe, ihn fragte: »Fällt dir an dem Pferd was besonderes auf, Bill?« Der Yankee hatte keine Eile, sich zu äußern. Er nahm sich die Zeit, das Tier mit seinen kleinen, klugen, grauen Augen gründlich zu betrachten.
Er beugte sich vor und untersuchte den Bauchgurt, dann strich er mit der Hand durch die Mähne. Schließlich bückte er sich und untersuchte die Hufe. Sein Blick blieb an der erwähnten blauen Strieme hängen, die schien ihn auf einen Gedanken zu bringen, denn er stieß einen langen, leisen Pfiff aus und untersuchte das Fell auf beiden Seiten des Sattels. Dann entdeckte er offensichtlich etwas von Bedeutung, denn mit einem Seitenblick auf die beiden alten Männer neben ihm drehte er sich um und ging in die Menge zurück. »Nun sag schon, was los ist«, riefen dutzende von Stimmen. »Eine Aufgabe für Sie«, sagte Bill den jungen irischen Polizisten ansehend. »Was ist los? Was wurde aus dem jungen Broadhurst?« »Es ist ihm was passiert, was schon besseren Männern vor ihm passiert ist. Er hat in einem Loch nach Gold gegraben und sich damit sein eigenes Grab geschaufelt.« »Nun spuck’s schon aus, was hast du herausgefunden?« rief eine heisere Stimme. »Da ist eine Abschürfung von der Kugel eines Buschrangers an der Flanke des Pferdes. Und ein Tropfen Blut des Reiters am Rand des Sattels – heda Jungs, haltet den alten Mann fest, lasst ihn nicht umfallen. Bringt ihn rein und schenkt ihm einen ordentlichen Schnaps ein. « Er packte den jungen Polizisten am Handgelenk und wisperte ihm zu: »Ich bin dabei. Sie und ich, wir packen das gemeinsam an. Ich bin diese Parasiten leid. Machen Sie so, wie die Leute damals in Nevada, schmieden Sie das Eisen, solange es heiß ist. Trommeln alle Männer, die sie kriegen können, zusammen. Ich vermute, sie sind auch mit von der Partie?« »Natürlich komme ich auch mit«, sagte der junge Braxton mit einem stillen Lächeln. Der Amerikaner sah ihn wohlwollend an. Auf seinen Wanderengen hatte er gelernt, dass ein Ire, der immer stiller wird, je erregter er ist, ein sehr gefährliches Exemplar der Gattung Mensch ist. »Guter Junge!« murmelte er. Die beiden gingen gemeinsam die Straße herunter zur Station, ein halbes Dutzend entschlossener Männer aus der Menge folgte ihnen. * Bevor wir mit unserer Geschichte fortfahren – eigentlich ist es eine Chronik, denn jedes Wort ist wahr – sei noch folgende Bemerkung gestattet: Die Polizisten der berittenen Truppe vor 20 Jahren unterschieden sich deutlich von den heutigen. Nicht das ich irgendwelche Zweifel an dem Mut der letzteren aufwerfen will, aber was tollkühne Wagnisse und Unternehmungsgeist betrifft, sind die damaligen Reiter bis heute unübertroffen. Der Grund dafür ist einfach.
Söhne aus gutem Hause, die keinen Anspruch auf das Erbe hatten und Glücksritter, die gerade so am Rande der Legalität existierten, kamen nach Australien mit den unrealistischsten Vorstellungen, wie sie hier ihr Glück machen konnten. Nach Ihrer Ankunft stellten sie schnell fest, dass Melbourne keineswegs das El Dorado war, das sie erwartet hatten. Meist waren sie für eine Anstellung ungeeignet, ihr Geld ging rasch zur Neige und so wurden sie fast unausweichlich zur berittenen Polizei gezogen. Auf diese Weise entstanden die kolonialen »Rotröcke«, bei denen der Gemeinste 5 von gleich hoher Geburt und Bildung wie sein Offizier sein konnte. Das waren Männer, die die Geschicke des Empires hätten lenkten können, aber stattdessen ihr Leben in vielen einsamen Kämpfen mit Eingeborenen und Buschrangern verschwendeten, wo nichts von ihnen übrig blieb, als ein verrottendes Skelett, um ihre Geschichte zu erzählen. * Es war ein herrlicher Sonnenuntergang. Der ganze westliche Himmel stand in Flammen, sein purpurnes Licht beleuchtete die Berggipfel und glitt über die düsteren Wälder zwischen Trafalgar und dem Wawirra. Es war eine urzeitliche Wildnis, ausgenommen der Stelle, wo durch den Verkehr der Goldsucher und der anderen Bewohner der Minenkolonie ein rauer Trampelpfad entstanden war. Dieser wand sich in vielen Schleifen an den großen Bäumen vorbei; offensichtlich hatten die Reisenden oft einen großen Umweg gemacht um eine sumpfige Stelle oder zu dichtes Unterholz zu vermeiden. An vielen Stellen war der ›Weg‹ lediglich durch die verstreuten Hufspuren und die vereinzelten Wagengleise von der Umgebung zu unterscheiden.
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