| Books | Libros | Livres | Bücher | Kitaplar | Livros |

Geschichte eines Braminen – Karoline Günderrode

Ich bin, sagte Almar, in Smyrna geboren. Mein Vater, ein Franzose und reicher Kaufmann, der von der Christlichen zur Mahomedanischen Religion übergegangen war, behandelte mich, so selten ich auch vor ihm erschien, kalt und unfreundlich, und meine Mutter war vor meiner Erinnerung gestorben. Ich fühlte mich recht verlassen und oft tief erbittert durch meinen Vater. Kinder, wenn sie schon anfangen, das Leben mit den Augen ihres Geistes zu betrachten, werden von den Gewohnheiten, Verhältnissen und Forderungen der menschlichen Gesellschaft beängstigt, und nur die sanfte Hand guter Eltern kann sie ohne große Schmerzen in die ungewohnten Schranken des bürgerlichen und häuslichen Lebens einführen. Durch die Eltern spricht die Natur zuerst zu den Kindern. Wehe den armen Geschöpfen, wenn diese erste Sprache kalt und lieblos ist! Da sich mir mehr unangenehme Gegenstände des Nachdenkens darboten als angenehme, so entsagte ich ihm bald ganz; selbst die Zeremonien des Mahomedanischen Gottesdienstes, die ich täglich mitmachen mußte, erregten meine Neugierde, deren Sinn zu verstehen, nicht. Mein Vater hatte oft gesagt, die Religionen seien zwar nützliche politische Einrichtungen, allein für den einzelnen Aufgeklärten höchst überflüssig. Der Zeremoniendienst war mir ohnehin beschwerlich, ich gab also diesem Ausspruche aus Bequemlichkeit meinen ganzen Beifall. Sechzehn Jahre war ich alt, als mich mein Vater (welcher haben wollte, ich solle Kaufmann werden) zu einem Handelsfreund in eine der größten Städte Europas sandte. Der Eindruck, welchen die Neuheit so vieler Gegenstände auf meine Seele machte, war nicht bedeutend, denn ich betrachtete die Dinge mehr mit den Augen als mit dem Geiste. Ich war genötigt, die meisten Stunden des Tages mit Geschäften auszufüllen; diejenigen, die mir übrig blieben, wandte ich dazu an, mir Vergnügen zu machen. Ich besuchte Schauspiele, schöne Frauen und ging mit leichtsinnigen jungen Männern um; dennoch blieb mir eine gewisse Verlegenheit und Ungeschicklichkeit im gesellschaftlichen Leben, die wir Morgenländer selten ablegen, weil unsere Lebensart sehr ungesellig ist. Mehrere Jahre waren so vergangen, in welchen ich nichts Höheres kannte als Geld erwerben, um es auf eine angenehme Art wieder auszugeben. Die Nachricht von dem Tode meines Vaters brachte mich zuerst zu einiger Besinnung. Ich beklagte seinen Tod nicht, aber ich betrauerte meine Unempfindlichkeit bei seinem Verlust und machte mir im Herzen Vorwürfe darüber. Ein neuer Umstand kam hinzu, meinen Geist aus seinem Schlummer zu erwecken. Der Kaufmann, für den ich arbeitete, verlor fast sein ganzes Vermögen; er und seine Gattin brachten tagelang mit mir in dem größten Kummer darüber hin, und wir entwarfen hundert vergebliche Pläne, das Übel abzuwenden. Nachdem ich mich fast stumpf über die Mittel, diese Leute zu retten, gedacht hatte, sagte ich zu mir selber: Sind denn Reichtümer und Vergnügen der Sinne die einzigen wünschenswerten Güter? Diese Frage öffnete plötzlich die mir noch unbekannten Tiefen meines eigenen Gemütes. Ich stieg hinab in eine Menge von Gedanken, wie in eine Felsenhöhle, in welcher immer neue und frische Quellen sprudeln. Ich war schon lange auf Erden, jetzt fing ich an zu leben, und die Flügel meines Geistes wagten den ersten Flug. Die mir bisher unsichtbare moralische Welt enthüllte sich mir, ich sah eine Gemeinschaft der Geister, ein Reich von Wirkung und Gegenwirkung, eine unsichtbare Harmonie, einen Zweck des menschlichen Strebens und ein wahres Gut. Verloren war ich für meine Berufsarbeiten seit dem Augenblick, da ich dies schöne Land gefunden hatte, ich gab sie auf, denn erst wollte ich wissen, wer ich sei? was ich sein solle? welche Stelle mir gebühre? und welche Gesetze in dem Reiche herrschten, dessen Bürger ich werden wollte? ehe ich meiner Tätigkeit einen Kreis bestimmte. Zuerst betrachtete ich meine Natur und Bestimmung abgesondert und nur in Rücksicht auf mich selbst; ich fand, daß ohne Weisheit und Tugend die Wohlfahrt meines Geistes nicht bestehen könne; ich fand, daß Weisheit und Tugend die Gegenstände meines höchsten Strebens durch Beherrschung der Sinnlichkeit, der Leidenschaften und durch Übung der Kräfte in edler und nützlicher Tätigkeit erlangt werden könnten. Betrachtete ich mich als Bürger des moralischen Reiches, so fand ich mich verpflichtet, dessen Wohlfahrt wie die eigne nach allen Kräften zu befördern, ihr alles zu opfern und mich als ihr Eigentum zu betrachten. Mit welcher Freude trat ich aus dem engen Kreis zugemessener Arbeiten in die freie Tätigkeit eines denkenden Wesens, das sich selbst einen Zweck seines Tuns setzt, aus dem beschränkten persönlichen Eigennutz in die große Verbrüderung aller Menschen zu aller Wohl.


Das bloß mechanische und tierische Leben, dem ich entronnen war, lag wie ein dumpfer Kerker hinter mir; ich trat in jedem Sinne in die Welt und übte meine Kraft in mancher Selbstüberwindung, in mancher schweren Tugend. Durch sorgfältige Betrachtung lernte ich bald alles Menschliche im Menschen kennen, aber das Göttliche war mir noch nicht offenbar. Meine stolze Vernunft maßte sich bald die Alleinherrschaft in mir an; ich wollte, alles solle vernünftig sein. Diese Forderung verwickelte mich natürlich in beständige Zwistigkeiten mit mir selbst und der Welt; die Widerspenstigkeiten meiner eignen Natur gegen ihre Gebote machten mich unzufrieden mit mir; der beständige Kampf der Welt gegen ihre Forderungen verwirrte mich, eine klügelnde Kritik fand alles tadelnswürdig, nichts konnte dieser Vernunft genügen. Einst hatte ich ihr ein großes Opfer gebracht, lange Zeit war ich im Nachdenken darüber verloren; endlich sprach eine innere Stimme zu mir: Warum ist denn alles gut, was auf Erden ist, nur der Mensch nicht? Warum soll er allein anders werden als er ist? Ist nur der tugendhaft, der auf den Ruinen seines eigenen Geistes steht und sagen kann: Seht, diese hatten sich empört, aber sie sind gefallen, ich bin Sieger geworden über sie alle! – Barbar! freue dich nicht deines Sieges, du hast einen Bürgerkrieg geführt; die Überwundenen waren Kinder deiner eigenen Natur, du hast dich selbst getötet mit deinen Siegen, du bist gefallen in deinen Schlachten. Ich konnte dieser Stimme nichts entgegensetzen als die Unordnung, in welche die moralische Welt geraten würde, wenn keiner gegen seine Neigungen kämpfen wollte. Aber diese Antwort genügte mir nicht; der Friede, mit solchen Opfern erkauft, war mir zu teuer, und ich konnte den Gedanken nicht mehr ertragen, mich teilweise zu vernichten, um mich teilweise desto besser erhalten zu können. Wie kann ich wissen, fuhr ich zu denken fort, was zu der eigentlichen Natur und Harmonie meines Wesens gehört, und was durch Erziehung und Verhältnisse Fremdes in mich übertragen wurde? Vielleicht, wenn mein Gemüt noch unvermischt von fremdem Zusatz wäre, vielleicht gäbe es dann in mir kein Sollen, keine Ertötung des einen, damit das andre besser gedeihe. Gewiß nur die Welt, ihre Verwirrungen, der Strom ihres tiefen Verderbens, die feige Gefälligkeit, die sie uns oft auferlegt, haben mich mir selber entrückt und mich zu einem Wesen von widersprechender Natur gemacht. Von dem Augenblick an, da mir dies klar wurde, entriß ich mich allen Verhältnissen mit den Menschen, ich verließ sogar Europa und ging zurück in mein Vaterland; dort wollte ich in stiller Betrachtung meine Seele reinigen von allem Fremden und wieder ganz ich selbst werden. Mit welcher Freude sah ich Asien wieder! Eine laue Luft trug mir den feinsten Duft der Spezereien des Morgenlandes entgegen. Syriens stille Küste badete sich im heißen Mittelmeer, und Abendwolken ruhten auf den Gipfeln der Berge; eine bedeutende Inschrift am Eingange dieses Landes, in welchem sich von jeher Irdisches und Himmlisches, Menschliches und Göttliches so nahe berührt haben.

.

PDF Herunterladen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

PDF • Kostenlose eBooks © 2020 | Free Books PDF | PDF Kitap İndir | Baixar Livros Grátis em PDF | Descargar Libros Gratis PDF | Telecharger Livre Gratuit PDF |