»– – und ich glaube nun beinahe, daß Rabbi Ben Akiba recht hat!« sagte mein Freund Hintze. Wir standen in seinem Laboratorium. Mein Freund hatte soeben die verblüffend kühne Behauptung aufgestellt, daß das geheimnisvolle Radium und die radioaktiven Stoffe lange vor Madame Curie schon einmal entdeckt worden seien. »Und wer war der geheimnisvolle Entdecker?« »Ein griechischer Gelehrter, Theodulos Energeios –« antwortete mein Freund – »und das wunderbarste an seiner Entdeckung scheint mir, daß er wahrscheinlich gar keine Ahnung von seinem wundersamen Funde gehabt hat, ja, darüber weggestorben ist, ohne ihre eigentliche Bedeutung erkannt zu haben –« »Wenn Sie sich etwas weniger geheimnisvoll äußern würden, lieber Freund,« konnte ich mich nicht enthalten zu bemerken, »würde es für die Sache selbst und für mein Verständnis entschieden besser sein!« »Schön!« erwiderte Freund Hintze, »ich weiß aber im voraus, daß Ihnen die ganze Sache unsinnig erscheinen wird, wenn ich sie mit dem Namen nenne, den Theodulos Energeios ihr gegeben hat; er gehört leider zu den sonderbaren Käuzen, die da glauben, das ›Perpetuum mobile‹ erfunden zu haben –« Ich wandte mich enttäuscht ab. »Sehen Sie,« sagte mein Freund lächelnd, »ich wußte es. Mir ging es ja ebenso! – aber ich freue mich, daß ich trotzdem der merkwürdigen Geschichte näher getreten bin – und mit Ihrer Hilfe bis auf den Grund zu kommen hoffe. Es ist ja nicht das erstemal, daß ein Entdecker etwas ganz anderes entdeckt, als er selber glaubt: Kolumbus hat sein Lebtag gemeint, die Küste Indiens gefunden zu haben – und hatte doch eine neue Welt entdeckt! –« »Aber ein Perpetuum mobile kann nur ein Unkundiger zu erfinden glauben,« warf ich verächtlich ein. »Seien wir nicht zu stolz,« sagte mein Freund. »Als die ersten Nachrichten von der Entdeckung des Radiums und seiner schier unerschöpflichen Energieabgabe durch die Welt schwirrten, tauchten in so manchem Kopfe unserer naturwissenschaftlich geschulten Generation die alten Träume von der Möglichkeit eines solchen Perpetuum mobile wieder aus! Deswegen laß’ ich mir den alten Theodulos Energeios nicht schelten –« »Und welche Arbeit leistet denn diese wunderliche Maschine?« fragte ich spöttisch. »Sie ist nach dem Berichte ihres Erbauers eine Universalmaschine: Sie liefert je nach der Einschaltung: Wärme, Licht, Elektrizität oder chemische Arbeit –« »Also eine Idealmaschine, wie wir sie auch in unseren Tagen immer noch sehr gut brauchen könnten –« »Ja –« bestätigte mein Freund – »und wie wir sie bisher in kleinen, eben nur in einem einzigen Stoffe der Welt, im Radium vor uns haben.« Ich mochte wohl noch immer ein sehr ungläubiges Gesicht machen; denn der Freund setzte hinzu: »Ich erzähle, was ich gehört habe. – Wieviel davon in Wahrheit geleistet wird, kann ich freilich nicht sagen –« »Aber – woher haben Sie denn überhaupt die Nachricht von dem Perpetuum mobile des Theodulos Energeios, lieber Freund?« »Von ihm selber!« »Also nicht aus einer wissenschaftlichen Schrift?« »Aus einem Manuskripte des Theodulos Energeios!« »Und wie sind Sie dazu gekommen?« »Ich habe es gefunden!« »Wie? Gefunden? Aber wo?« »Unter alten Papieren! – Theodulos Energeios ist – seit hundert Jahren tot!« Abermals starrte ich meinen Freund erstaunt an. »Hören Sie zu, lieber Freund; ich will nicht länger mit Ihnen Versteck spielen! – Sie wissen, daß mir der amtliche Auftrag wurde, die wissenschaftliche Hinterlassenschaft Professor Bambergs für das hiesige Naturwissenschaftliche Institut zu sichten. Der Mann hat zeitlebens die seltsamsten und kostbarsten Apparate und Konstruktionen zusammengebracht; merkwürdige Dinge finden sich darunter! – Beim Durchstöbern der Kataloge, Beschreibungen und dergleichen stieß ich auf ein altes Manuskript – in griechischen Lettern – neugriechisch! – Und darin beschreibt Theodulos Energeios – das Schriftstück stammt aus dem Jahre 1808! – ausführlich seine Entdeckung und gibt auch eine – leider fast verblichene, sehr schlecht erhaltene Zeichnung der auf Grund seiner Entdeckung erbauten Maschine —« »Eine Mystifikation!« warf ich zweifelnd ein. »Durchaus nicht; lautere Wahrheit! Das Manuskript trägt nämlich einen später hinzugefügten Anhang, worin die Behörde Athens beglaubigt, daß der Verfasser des Schriftstücks, eben unser Theodulos Energeios, den jedermann als einen rüstigen Fünfziger gekannt habe, plötzlich zum schneeweißen, zitternden Greise geworden sei, und daß man auf seinen Wunsch bei seinem Tode die von ihm konstruierte Maschine an einer verborgenen Stelle seines Gartens vergraben habe.« »Sonderbar! – Und seine Maschine? Ruht sie noch in klassischer Erde?« »Nein!« entgegnete mein Freund mit geheimnisvollem Lächeln. »Und wo ist sie geblieben?« »Sie steht heute unter dem ausrangierten Apparatengerümpel, das wir auf dem Boden des Professor Bambergschen Laboratoriums gefunden haben.« »Haben Sie sie schon gesehen?« »Ja! Das heißt: die Kiste, in der sie verborgen wurde!« »Nun und –?« fragte ich in großer Spannung. »Gestern habe ich eine schwere, dick mit Eisen beschlagene Kiste entdeckt, aus deren Deckel ein vergilbter Papierstreifen klebt – mit der gleichen Aufschrift, wie sie das Manuskript trug –« »Und wann gedenken Sie die geheimnisvolle Kiste zu öffnen, lieber Freund?« »Wollen Sie mir dabei helfen?« »Selbstverständlich! – Selbst auf die Gefahr hin, daß uns der alte Grieche noch nach hundert Jahren an der Nase führt!« »Das hoffe ich nicht. Aber aus etwas anderes muß ich Sie vorher aufmerksam machen: Für mich ist es sicher, daß zwischen der Maschine des Theodulos Energeios und seinem plötzlichen Greisentum ein ursächlicher Zusammenhang besteht! Das Dynamin – so heißt nämlich der Stoff, den er als unerschöpflichen Generator in seiner Maschine verwendet, ist meines Erachtens nichts anderes als eine höchst energische radioaktive Substanz – und ihre verderbliche Strahlung hat ihn vorzeitig seiner körperlichen Kraft und Gesundheit beraubt. Wir wissen zwar noch nichts über die Wirkung größerer Radiummengen auf den menschlichen Körper; aber es ist sicher anzunehmen, daß sie diejenige der Röntgenstrahlen gewaltig übertreffen wird. Unser Experimentieren mit der geheimnisvollen Maschine birgt also eine Gefahr in sich, umso unbekannter und unberechenbarer, als die Wissenschaft bisher kein Beispiel für das Arbeiten mit so großen Mengen radioaktiver Stoffe kennt! – Dabei muß ich Ihnen doch mitteilen, wie sich Theodulos Energeios diese von ihm zu spät erkannte organismuszerstörende Wirkung seines ›Dynamins‹ zu erklären versucht hat.«
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