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Wir Seezigeuner III – Robert Kraft

ir hatten uns freiwillig in keine besonders schlimme Lage begeben – mit den Augen eines Seemannes betrachtet. Der große Kutter war das erste Rettungsboot und vorschriftsmäßig immer mit allem ausgerüstet gewesen, um vierzig Insassen – wir waren deren aber nur zweiunddreißig – für sieben Tage am Leben zu erhalten. Dazu gehören vor allen Dingen tausend Liter Wasser, in vier eisernen Tanks, gar nicht so groß, am Boden des Fahrzeuges verteilt, ein dementsprechender Vorrat von Schiffszwieback und Fleischkonserven, und ferner müssen im Bootskasten immer alle nautischen Instrumente, Logarithmentafeln und Seekarten sein, und zwar müssen diese von Zeit zu Zeit ausgewechselt werden, so daß immer die der Gegend vorhanden sind, in welcher man sich gerade befindet, die Auswechslung hat ungefähr aller Wochen zu erfolgen, doch setzt da z. B. ein Leuchtturm, ein Vorgebirge, welches man passiert, ein Ziel, und trotz aller sonstigen Zigeunerschaft herrschte bei mir in so etwas eine musterhafte Ordnung, und ich hatte meinen beiden Offizieren, wenn ich einmal inspizierte, deswegen nie einen Verweis zu erteilen gehabt. Denn das war gerade dasjenige, worin mit mir nicht zu spaßen war, da konnte ich grob werden, wohl auch einmal meinem besten Freunde Nackenschläge geben. Der sechzehnriemige Kutter machte im stehenden Wasser sechs Knoten in der Stunde, ohne besondere Anstrengung der Ruderer, konnte auf acht Knoten forciert werden. Sechs Knoten genügte, um in fünf Tagen die nächste Insel zu erreichen: das Koralleneiland Ducie, die östlichste Insel des polynesischen Archipels. Ob diese bewohnt war, wußte ich nicht, aber die Seekarte sagte mir durch zwei farbige Zeichen, daß wir dort Trinkwasser und feste Nahrung finden würden. Von dort aus konnten wir uns von Insel zu Insel arbeiten, und so ein Kutter besteht jeden Seegang. Wenn freilich der Himmel einstürzt, dann sind alle Spatzen tot. Doch ich wollte nicht direkt auf diese westlich gelegene Insel zuhalten, sondern steuerte erst mehr nördlich, um zunächst in den nach Westen gehenden großen Südäquatorialstrom zu kommen. Dieser wird von allen Schiffen benutzt, welche um Kap Horn nach Westen gehen, dort konnten wir am ehesten hoffen, von einem Schiffe aufgenommen zu werden, und wenn wir keines erblickten, so brachte uns die reißende Strömung die verlorene Zeit, die wir zu dem Umweg gebraucht, doch reichlich wieder ein. Im übrigen befanden wir uns in einer weit besseren Lage, als Schiffbrüchige für gewöhnlich sind, wenn sie ins Rettungsboot gehen müssen. Da haben die doch immer schon eine schwere Arbeit hinter sich, manchmal eine fürchterliche Leidenszeit, da gibt es gequetschte Glieder und zerbrochene Knochen – wir waren bei frischen Kräften – und vor allen Dingen erfüllt vom fröhlichsten Mute! Denn die Trennung von unserer ›Sturmbraut‹ betrauerte wohl niemand, so wenig wie ich selbst. Mir kam erst jetzt zum ersten Male zum Bewußtsein, daß dieses Schiff mir ja gar nicht gehört hatte – nun aber auch fort damit! – und es wäre wohl gar nicht nötig gewesen, daß ich darüber zu den Offizieren und auch zu meinen Jungen gesprochen hätte, wohl sie alle fühlten genau dasselbe wie ich. Nun war der Bann gebrochen, die Erkenntnis kam, was wir uns da angemaßt hatten, in wahrhaft kindlichnaiver Weise – und nun fort damit, fort damit, uns sollte niemand wieder Bettler nennen, wenigstens nicht in dieser Weise! Wir waren bereit, jedes Schiff und alle Inselbewohner anzubetteln, aber uns von diesem Frauenzimmer Bettler nennen zu lassen … Der Unterschied hierbei läßt sich wohl eher fühlen, denn durch Worte ausdrücken. Und unsere Zukunft? »So lang’ der Himmel blau ist, geht der Deutsche nicht zu Grund’,« stimmten jetzt meine Jungen, und die meisten waren ja Deutsche, zum Rudertakte an. Ja, wir alle fühlten uns, als wir so über die spiegelglatte, blaue See dahinschossen, recht glücklich, wie noch nie. Das sah ich doch gleich allen diesen Gesichtern an. »Ich hab’ mein Sach’ auf nichts gestellt, juchhe, Und mir gehört die ganze Welt, juchhe!« Wir waren eben schon richtige Zigeuner geworden, Land- oder vielmehr Seestreicher, die sich am glücklichsten fühlen, wenn sie nichts haben – sorge nicht für den morgenden Morgen, denn der morgende Morgen wird für das Morgende sorgen; siehe die Lilie an auf dem Felde, sie weiß nicht, wohin sie ihr Haupt legen soll, und sie hat doch immer genügend Kautabak … und wer da nicht weiß, was für ein unaussprechliches Glück im ›Nischthaben‹ liegt, der eignet sich eben weder zum Landnoch zum Seezigeuner. Die brennende Sonne zog auf der Haut der nackten Ruderer Blasen, aber fröhlich wurde zum Rudertakt weitergesungen und dazwischen immer einmal ein Mund voll Hartbrot mit Pökelfleisch und ein Schluck Wasser genommen. Die Sonne verschwand unter dem Horizont, plötzlich herrschte finstere Nacht, bis sich unsere Augen an den schnellen Wechsel gewöhnt hatte, und da sahen wir die ewigen Sterne am Firmaments funkeln, und es wurde weitergesungen. Nur daß meine Jungen jetzt sentimental wurden. »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich so traurig bin.


« Aber bekanntlich wird dieses schwermütige Lied von den Deutschen gesungen, wenn sie sich gerade in der allerlustigsten Stimmung befinden. Dann legten sich die abgelösten Ruderer zum Schlafen auf den trockenen Boden des Fahrzeugs hin, die Nacht war in diesen Breiten noch warm genug, für die Nackten genügte, daß sie mit den Jacken und Hemden ihrer an den Riemen schwitzenden Kameraden zugedeckt wurden, und bald erklang ein allgemeines Schnarchen. Am nächsten Morgen befanden wir uns nicht mehr weit entfernt von jener Strömung. Von einem Schiffe war freilich noch nichts zu sichten. Das Meer ist eben groß – viel größer, als es auf den Karten des Schulatlasses aussieht. »Eine Flasche!!« erscholl da der Ruf. Auch ich hatte sie schon bemerkt. Beim Anblick einer schwimmenden Flasche gleich an eine sogenannte Flaschenpost zu denken, worin Schiffbrüchige über ihr Unglück berichten, wäre sehr voreilig. Da treiben im Meere noch gar viele Flaschen herum, welche nichts enthalten, nicht einmal den Rest irgendeiner trinkbaren Flüssigkeit. Aufgefischt und untersucht wird natürlich jede erblickte Flasche, wenn dies nur irgendwie möglich ist. Denn nicht immer ist das der Fall, und bei sehr hoher See kann von Bord des Schiffes aus solch eine Flasche auch nicht immer aufgefischt werden, und beim Aussetzen eines Bootes deshalb einige Menschenleben zu gefährden, das ist zu viel verlangt. Nun, wir hatten es bequemer, ich brauchte nur etwas zur Seite zu steuern, dann befand sich die weiße Bierflasche in meiner Hand – und wahrhaftig, es befand sich ein zusammengerolltes Papier darin! Der wasserdichte Verschluß war sehr sorgfältig ausgeführt. Erst mußte ich eine vielfache Umwicklung von Kautschukpapier lösen, unter dem Halse fest mit Draht umwunden. Der Kautschukpfropfen war dann leicht herauszuziehen. Ich holte die Rolle, die sich etwas verbreitert hatte und so nicht mehr durch den Flaschenhals konnte, mit einem als Zange dienenden Zirkel heraus, beim Aufwickeln zeigten sich zwei Papiere, nicht beschrieben, sondern bedruckt, mit großen Buchstaben in englischer Sprache, und zu meinem größten Erstaunen las ich von dem ersten Papiere ab: »Alle professionellen Seezigeuner und solche, welche es gern werden möchten, werden zu einer Zusammenkunft nach Fanafute gebeten, Ellice-Gruppe, 8 Grad 52 südliche Breite, 177 Grad 21 westlich von Greenwich. Lord Archibald Seymour.« Das stand auf dem ersten Papier, und auf dem zweiten konnte ich ebenfalls gedruckt zu meinem vielleicht noch größeren Staunen lesen: »Es wird um die Adresse von Mr. Richard Jansen, Kapitän der ›Sturmbraut‹ gebeten, oder um Zustellung dieser Aufforderung an ihn. Lord Archibald Seymour, Fanafute oder London.« Mehr enthielt die Flaschenpost nicht. Und das genügte wohl auch. Sie war zum Teil direkt an mich gerichtet! Ich hatte die beiden Mitteilungen laut vorgelesen, und die Sensation war groß. »Lord Archibald Seymour – das ist der verrückte Präsident des Londoner Jachtklubs!« »Nicht mehr, er hat schon vor zwei Jahren seinen Posten niederlegen müssen, eben wegen seiner Verrücktheit.« »Ob da nicht auch die beiden Kerls dahinterstecken, der Mister Brown und der Mister Fairfax?!« »Und die Ellicegruppe – das ist ja eben der Inselarchipel, zu dem auch der Vogelberg gehört, wo der rätselhafte Kapitän hausen soll, der uns das holländische Wrack entführte!« »Am Ende ist das gar dieser Lord Seymour!« »Wie weit sind wir denn noch davon entfernt?« So und anders erscholl es durcheinander, bis ich Ruhe gebot, um alle Fragen klar erwägen zu können. Zunächst Lord Archibald Seymour, der frühere Präsident des Londoner Jachtklubs! Gehört hatten wir schon alle von ihm, aber nur so vom Hörensagen her, aus Zeitungen.

Sonst war keiner von uns auch nur mit jemandem in Berührung gekommen, der diesen englischen Sportsman persönlich kennengelernt hatte. Der erste Londoner Jachtklub – es gibt deren noch mehrere, die aber nicht zusammenhängen – ist wohl der vornehmste Verein der Welt, zu den Mitgliedern gehören so ziemlich alle gekrönten Häupter der Erde, der Eintritt kostet wohl tausend Pfund Sterling, der jährliche Beitrag hundert Pfund, die Regatten werden in allen Weltteilen arrangiert, in London besitzt er ein Klubhaus, welches an Pracht alles Bestehende in den Schatten stellen soll, darunter ein Museum mit Schätzen und Seltenheiten, wie kein staatliches Institut es aufzuweisen hat. Sonst ist über diesen Jachtklub nichts sagen. Lord Archibald Seymour war, soweit wir wußten, einer von den 49 Lords und Peers, denen ganz England gehört, und diesem hier fiel ein großer Teil Londons zu. Daß es in England und speziell in London fast gar kein ›Freehold‹, d. h., keinen freien Grundbesitz mehr gibt, daß alles diesen Lords gehört, ist wohl bekannt. Allerdings kann man noch Grund und Boden kaufen, Häuser darauf bauen; aber immer nur für 99 Jahre. Im hundertsten Jahre fällt der Boden wieder dem Landlord zu, der das Wohn- oder Geschäftshaus einfach wieder abreißen läßt. Nur wenn ganz großartige Gebäude geplant werden, wird der Abtretungskontrakt auf 999 Jahre verlängert. Ein Blick in eine englische Zeitung mit Grundbesitzverkehr zeigt überall diese eigentümlichen Bestimmungen – eigentümlich für uns, nicht für den Engländer, der das ganz selbstverständlich findet, ebenso, wie in England nur der erstgeborene Sohn allen festen Besitz erbt, ohne Entschädigung an die übrigen Geschwister. Das ist für uns Deutsche nur eine alte Barbarei, in England kennt man das nicht anders. Gerade in London aber kommt solch ein Verkauf fast gar nicht mehr vor. Die sieben Lords, denen ganz London gehört, vermieten nur, streichen die Miete ein. Das tun sie natürlich nicht persönlich, auch nicht durch Beamte – sie haben den ganzen Schwamm gegen eine fixe Summe an Unternehmer verpachtet. Aber was für Summen das nun sind! Kurz, diese sieben Lords gehören zu denjenigen Menschen, welche wirklich nicht wissen, wieviel sie eigentlich Geld haben – und mit dem Einkommen solch eines Lords, dem die inneren Geschäftsstraßen gehören, läßt sich auch nicht das eines amerikanischen Milliardärs vergleichen. Solch ein amerikanischer Multimilliardär wie Gould oder Rockefeller mag allerdings mehr flüssiges Kapital in der Hand haben – aber mehr Geld ausgeben, ohne es zu empfinden, das kann unbedingt solch ein englischer Lord. Was für besondere Verrücktheiten eigentlich dieser Lord Archibald Seymour als Präsident des Jachtklubs begangen hatte, das wußte niemand von uns zu sagen. Ja, man hatte gelesen und erinnerte sich, wie Lord Seymour vor drei oder vier Jahren ein Feuerwerk abgebrannt hatte, welches einige hunderttausend Taler gekostet, wie er von London nach Liverpool mit einem Extrazuge gefahren war, der nur aus zwei Dutzend Lokomotiven bestanden hatte, und dergleichen mehr, die Folgen von unsinnigen Wetten – aber so etwas kann sich solch ein Lord doch alles leisten, der sein vieles Geld auf anständige Weise unter die Leute bringen will. Und daß er schon für seine späteren Jahre, wenn er selbst es nötig habe, bei Greenwich ein großes Irrenhaus hat bauen lassen, in dem er schon jetzt fünfhundert armen Geistesgestörten freie Pension gibt, das ist doch auch gar nicht so ohne. »Ich weiß,« sagte da mein zweiter Steuermann, »es mag wohl gerade zwei Jahre her sein, als die Mitglieder des ersten Jachtklubs wieder einmal eine allgemeine Versammlung in London hatten; aus ganz Europa trafen Kaiser und Könige und andere Fürsten ein, z. B. auch der russische Zar – mit einem Male aber erschienen auch Schwarze, Braune und Gelbe, Lord Seymour hatte nicht nur indische Fürsten, sondern auch afrikanische Negerhäuptlinge eingeladen, ich erinnere mich nur eines Zulukönigs und eines Hottentottenhäuptlings – und nun verlangte Lord Seymour, auch diese schwarzen und braunen Majestäten sollten als Mitglieder des ersten Londoner Jachtklubs aufgenommen werden, auf daß diesem wirklich sämtliche gekrönten Häupter der Erde angehörten. »Dieses war nur der erste Streich, der zweite folgte sogleich. Lord Seymour verlangte oder schlug vor, daß der Jachtklub sein Domizil nach einigen Inseln des australischen Archipels verlegen sollte, für ständig, auch sämtliche Mitglieder sollten dorthin übersiedeln, also auch alle die europäischen Kaiser und Könige und anderen Fürsten, und dann sollte Europa und die ganze übrige Welt hier von den Fidschiinseln aus regiert werden, dieser erste Jachtklub sollte das Zentrum der ganzen Welt werden, dann könne es in der Welt doch auch gleich keinen Krieg mehr geben … na, und weil da die Fürsten dieser Erde nicht mitmachen wollten, da hat Lord Seymour eben sein Präsidium niedergelegt.

Vielleicht haben sie ihn auch hinausgeschmissen. Denn er soll dem russischen Kaiser, weil dieser ihn mit seinem Plane auslachte, eine heruntergehauen haben.« »Und wohin ist er dann gegangen?« lachte ich.

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