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Leben und Abenteuer des weltbekannten Seeräubers Bob Singleton – Daniel Defoe

Große Männer, deren Leben merkwürdig gewesen und deren Taten auf die Nachwelt zu kommen verdienen, pflegen in ihren Aufzeichnungen hohen Wert auf ihre Abkunft zu legen und behelligen den Leser nicht nur ein Langes und Breites mit der Geschichte ihrer Familie sondern auch mit derjenigen ihrer Vorfahren, soferne von ihnen etwas zu erzählen ist. Wenn ich diesem Brauche folgen wollte, so müßte ich ein gleiches tun, allein ich kann meinen Stammbaum nicht weit zurückverfolgen, wie man bald ersehen wird. Wenn ich der Frau glauben darf, die ich Mutter zu nennen gelehrt wurde, so nahm mich, als ich ein kleiner zweijähriger Knabe war, an einem schönen Sommerabende das Kindermädchen, die mich zu warten hatte, unter dem Vorwande mich in frische Luft zu bringen auf das Feld hinaus. Ich war gut gekleidet und hatte außerdem das Töchterchen eines Nachbars, ein zwölf- oder vierzehnjähriges Mädchen, zur Gesellschaft. Meine Wärterin – war es nun Zufall oder Verabredung – traf mit einem Burschen, wahrscheinlich ihrem Geliebten, zusammen, der sie mit sich in ein Gasthaus nahm, um sie mit Bier und Kuchen zu bewirten. Während sich das Pärchen in solcher Weise im Hause vergnügte, spielte draußen das Nachbarstöchterchen mit mir und führte mich, ohne etwas Böses dabei zu denken, durch den Garten hinaus aufs Feld, wo uns meine Wärterin bald nicht mehr sehen konnte. Wie es auch zugegangen sein mochte, kurz ich fiel einer Frau von dem Schlage derer, die sich kein Gewissen daraus machen, kleine Kinder zu rauben, in die Hände. Es war ein teuflisches Gewerbe, das in jenen Tagen besonders an gutgekleideten kleinen Kindern, bisweilen aber auch an größeren, die man nach den Plantagen verkaufen konnte, nicht selten geübt wurde. Die Frau schien eine große Freude an mir zu haben: sie nahm mich auf ihre Arme, küßte mich, spielte mit mir, lockte meine Begleiterin immer weiter vom Hause weg, machte ihr endlich etwas weis und trug ihr auf, in das Haus zurückzukehren und meiner Wärterin zu sagen, wo sie mit dem Kleinen wäre: eine Dame von Stand habe Neigung zu dem Kinde gefaßt und lasse es auf ihrem Schoße spielen, die Wärterin brauche nicht besorgt zu sein, die Dame warte mit dem Knaben draußen. Das Nachbarmädchen ließ sich beschwatzen und kam dem Auftrage nach – und währenddessen machte sich die Dame mit mir aus dem Staube. Nach dieser Zeit wurde ich, wie es scheint, an eine Bettlerin verhandelt, die zur Betreibung ihres Gewerbes eines ganz kleinen Kindes bedurfte, später kam ich zu einer Zigeunerin, bei der ich bis zu meinem sechsten Jahre blieb. Obgleich dieses Weib mich in allen Teilen des Landes mit herumschleppte, so ließ sie mich doch nie Mangel leiden, und ich nannte sie Mutter. Später sagte sie mir, daß sie nicht meine Mutter wäre, sondern daß sie mich für zwölf Schillinge von einer andern Frau gekauft hätte, welche ihr mitgeteilt, wie ich zu ihr gekommen wäre, und daß ich Bob Singleton hieße. Es ist unnötig hier Vermutungen aufzustellen, in welchen Schrecken wohl die ungetreue Dirne, die mich vernachlässigt hatte, geraten war, welche Behandlung ihr in gerechtem Zorne von meinen Eltern zuteil wurde, und welches Entsetzen die Gemüter der letzteren bei dem Gedanken erfüllte, daß ihr Kind entführt sei. Ich habe, wie bereits erwähnt, nie erfahren, wer meine Eltern waren, und es wäre daher eine nutzlose Abschweifung, wenn ich hier davon reden wollte. Es begab sich indes, daß meine gute Zigeunermutter – ohne Zweifel um einer ihrer wackeren Handlungen willen – im Laufe der Zeit gehängt wurde, und da sich dieser Vorfall zu einer Zeit ereignete, da ich noch nicht ganz in das Landstreichergewerbe eingeweiht war, so übernahm das Kirchspiel, in welchem sich dieses zutrug, auf dessen Namen ich mich jedoch nicht mehr besinnen kann, meine Versorgung. Meine frühesten Erinnerungen beschränken sich darauf, daß ich in eine Kirchspielschule ging, und daß der Geistliche des Ortes mir zu sagen pflegte, ich solle nur ein gutes Kind werden; denn wenn ich auch ein armer Knabe wäre, so könnte ich doch noch mein Glück machen, wenn ich nur meinen Katechismus fleißig lernte und Gott fürchtete. Ich glaube, ich wurde etliche Male von einer Stadt zur andern geschickt – vielleicht, weil sich die Kirchspiele wegen der Herkunft meiner mutmaßlichen Mutter stritten – ich kann mich jedoch nicht erinnern, ob ich dabei zu Fuße gehen mußte oder fahren durfte. Die Stadt indes, in welcher ich endlich blieb, kann nicht weit vom Meere gelegen haben, denn ein Schiffseigentümer, der Neigung für mich faßte, brachte mich zuerst nach einem Orte unweit Southampton. Hier war ich bei den Zimmerleuten und anderen Handwerkern, die ein Schiff für ihn bauten, Handlanger, und als das Schiff fertig war, nahm er mich, ungeachtet ich noch nicht zwölf Jahre zählte, auf eine Seereise nach Neufundland mit. Ich lebte dort behaglich genug und wurde meinem Herrn so lieb, daß er mich wie seinen eigenen Sohn hielt, auch würde ich ihn gern Vater genannt haben, wenn er es mir verstattet hätte. Er wollte es aber nicht haben, weil er eigene Kinder hatte. Ich machte drei oder vier Reisen mit ihm und war bereits zu einem kräftigen Jungen herangewachsen, als wir auf dem Heimwege von Neufundland von einem algerischen Seeräuber abgefangen wurden. Wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, so fällt dieses Ereignis in das Jahr 1605, denn ich schrieb natürlich damals noch kein Tagebuch. Dieser Unfall focht mich nicht besonders an, obgleich ich sah, daß mein Herr während des Kampfes eine Kopfwunde erhalten hatte und von den Sarazenen schwer mißhandelt wurde – ich sage, er focht mich nicht besonders an, bis mir unglücklicherweise ein paar Worte entfuhren, die, soviel ich mich erinnere, Bezug auf die barbarische Behandlung meines Herrn hatten, worauf man mir mit einem Stocke die Fußsohlen so unbarmherzig bearbeitete, daß ich mehrere Tage weder gehen noch stehen konnte.


Doch auch bei dieser Gelegenheit war mir das Glück günstig, denn als der Korsar, unser Schiff als Beute im Schlepptau, angesichts der Bai von Cadix auf die Meerenge von Gibraltar lossteuerte, wurde er durch zwei große portugiesische Kriegsschiffe angegriffen, gefangengenommen und nach Lissabon geführte Da mich meine Gefangenschaft wenig kümmerte, und ich überhaupt nicht wußte, welche Folgen mir daraus erwachsen könnten, so ließ ich mir meine Befreiung wenig angelegen sein, denn was hätte sie mir auch nützen können? Mein Herr, der einzige Freund, den ich auf Erden besaß, war in Lissabon an seinen Wunden gestorben, und es blieb mir daher in dem fremden Lande, wo ich niemanden, nicht einmal die Sprache kannte, nichts übrig als Hungers zu sterben. Jedenfalls war mein Los ein viel besseres als ich hoffen durfte, denn als die übrigen von unserer Mannschaft die Freiheit und das Recht erhalten hatten hinzugehen, wohin es ihnen beliebte, blieb ich, da ich nirgends ein Hin wußte, mehrere Tage auf dem Schiffe, bis mich endlich ein Leutnant sah und Erkundigungen einzog, was der junge englische Hund wolle, und warum man ihn nicht an Land bringe. Ich hörte dies, verstand, wenn auch nicht gerade seine Worte, so doch den Sinn derselben und fürchtete mich sehr, denn ich wußte nicht, wo ich einen Bissen Brot hernehmen sollte. Unmittelbar darauf kam auch der Lotse des Schiffes, ein alter Matrose, der meine verdutzte Miene sah, auf mich zu und erklärte mir in gebrochenem Englisch, daß ich fort müßte. Aber wohin soll ich gehen? fragte ich. Wohin du willst, war seine Antwort, nach Hause, nach England! Aber wie soll ich dahin kommen? versetzte ich. Hast du denn niemanden hier? fragte er. Auf der ganzen Welt keinen als jenen Hund dort, erwiderte ich und zeigte auf den Schiffshund, der kurz zuvor ein Stück Fleisch gestohlen hatte und damit in meine Nähe gekommen war, worauf ich es ihm abjagte und selber verzehrte, er ist mein Freund gewesen und hat mir mein Mittagessen gebracht. Nun nun, sagte er, am Essen soll es dir nicht fehlen. Willst du mit mir gehen? Von Herzen gerne, antwortete ich. Der alte Lotse nahm mich mit nach Hause und behandelte mich ziemlich gut, obgleich es mit dem Essen karg genug herging. Ich wohnte ungefähr zwei Jahre bei ihm, während welcher Zeit er sich um eine Anstellung bewarb. Er wurde auch endlich Schiffsmeister auf einer Gallone, die nach Goa in Ostindien gehen sollte, und brachte mich, sobald er die Bestallung hatte, an Bord, um seinen Schiffsverschlag zu beaufsichtigen, in welchem er Vorräte von Branntwein, Zitronat, Zucker, Gewürze und dergleichen für den eigenen Gebrauch aufhäufte und später auch eine beträchtliche Menge europäischer Güter: als feiner Spitzen, Leinwand, Wollstoffe und ähnlicher Sachen, angeblich seinen Kleidervorrat, einlud. Ich war zu jung, um ein Tagebuch über diese Reise zu führen, obgleich mein Herr, der für einen Portugiesen ein ganz tüchtiger Mann war, mich dazu aufforderte, allein meine Unkenntnis der Sprache war indes ein Hindernis oder galt wenigstens als Entschuldigung. Dessenungeachtet blickte ich aber nach einiger Zeit in seine Bücher und Karten, und da ich eine leidliche Handschrift schrieb, auch einiges Latein verstand und das Portugiesische zu radebrechen anfing, so lernte ich einiges von der Seefahrerkunst, obschon nicht soviel als wohl für ein so ereignisreiches Leben, wie das meinige werden sollte, hinreichend gewesen wäre. Wir besuchten auf unserer Reise nach Ostindien die Küste von Brasilien. Nicht daß dies der gewöhnliche Weg gewesen wäre, aber unser Kapitän machte zuerst, sei es auf eigene Rechnung oder im Auftrage der beteiligten Kaufleute, einen Abstecher nach jener Gegend, wo wir in der Allerheiligenbai fast an hundert Tonnen Güter ablieferten und einen beträchtlichen Haufen Gold nebst einigen Kisten Zucker und über achtzig Rollen Tabak, jede mindestens einen Zentner schwer, einnahmen. Im Auftrage meines Herrn mußte ich an der Küste die Geschäfte des Kapitäns besorgen, bei welcher Gelegenheit ich gar eifrig für den Vorteil meines Auftraggebers tätig war, und um ihn für sein Vertrauen zu belohnen, fand ich Mittel und Wege, mir ungefähr zwanzig Goldstücke, die von den Kaufleuten für Rechnung unseres Schiffes ausbezahlt wurden, zu sichern, das heißt zu stehlen, eine Kunst, die ich leider nur zu bald von den Portugiesen lernte, was ich hier offen gestehe, da ich entschlossen bin, dem Leser nicht bloß meine Abenteuer, sondern auch meine Verirrungen zu berichten

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