Lachender blauer Himmel und erquickender Herbstwind; schlank gewachsene, rothbraune Stämme und immer grüne Baumwipfel; zierlich ausgezackte Farrnkräuter; Brombeerranken und Harzduft! Wie das berauscht, wie es singt, indem die Luftströmung sich ihren Weg zwischen den Millionen von Tannennadeln hindurchsucht! Es ist, als ob die großen, schwarzen Ameisen, welche in Processionen die Stämme hinauf und hinunterwandem, aus jeder einzelnen Nadel Einen der Ihrigen mit einer wohlgestimmten Geige angestellt hätten, diese aber mit dem winzigen Bogen tapfer über die straffen Saiten führen, einen geisterhaft zarten, die ganze Atmosphäre erfüllenden Accord erzeugend. Feierlich klingt es und melancholisch nach dem Tacte, welchen ein ehrwürdiger Grünspecht schlägt. Es wachsen die Töne und schwinden zum leisesten Hauch! Sie ersterben, um gleich darauf wieder unter den Bemühungen des langathmigen Spielmannes choralartig anzuschwellen. So sang es vor Hunderttausenden von Jahren in den Wipfeln gewaltiger Abietineen, welche sich gemeinschaftlich mit hochgewölbten baumartigen Farrnkräutern aus der unsicheren Erdrinde ins Leben gestohlen hatten, so singt es noch heute, wo nur immer Kiefern und Tannen sich gruppenweise zusammendrängen. Es singt und rauscht; die einzelnen Töne verwandeln sich in Worte, verständlich dem aufmerksamen Ohr, welches liebevoll dem wunderbaren Weben und Wirken der Natur sich zuneigt! Es erzählt von längst entschwundenen Zeiten, als reicher Saft die heute verkieselten Stämme durchströmte, nur in Domform geschwungene, tiefgrüne Wedel dem Flüstern des Windes lauschten! Es erzählt von Erdverschüttungen und Sündfluthen, von neu ersprießendem Leben, dessen Boden die Trümmer und Gräber hochgeschichteter Vegetationsgeschlechter. Tändelnd eilt es hinweg über tausendjährige Schöpfungsepochen, in ähnlicher Weise kommender Weltalter gedenkend. Immer und überall derselbe Gesang, dasselbe Erzählen: Aus brennender Felswand wie in fernen, den Menschen noch unbekannten Schluchten, oder in sorgfältig überwachten Schonungen. Hier wie dort bieten die grünen Nadeln sich gleich bereitwillig dem Winde dar, um sich von ihm alle ihre kleinen Geheimnisse entlocken zu lassen. Lachender blauer Himmel, rothbraune, schlank gewachsene Stämme, immergrüne Wipfel und frischer Harzduft, wie das berauschend auf die Phantasie einwirkt! Die Ameisen verwandeln sich in lange Reihen schwer belasteter Dromedare; zu hochstämmigen Dattelpalmen wachsen die anmuthig verschlungenen Farrnkräuter empor; zum Küster in langschößigem Leibrock wird der Grünspecht, und nach seinem Klopfen regelt sich die Musik. Die Blicke verschleiern sich; verständlicher tönt es dafür von den sanft wiegenden Zweigen nieder: Nimm hin, was wir Dir bieten, nimm es hin, unbekümmert um fremde, unnachsichtige Urtheile, und schick’ es wohlgemuth in die Welt hinaus! Und was wir Dir nicht erzählen, was Deine eigene Phantasie schafft, das lege kühnlich in unseren Mund. Wie einst in dem Rauschen der Meeresbrandung, wirst Du auch in unserem Flüstern traute Anklänge finden, wirst Du Dir vergegenwärtigen, wo überall in der weiten Welt Du demselben Gesange lauschtest, und auf diese Art Netze über den halben Erdball spinnen! Schwarz und eilfertig, wie der nach hundertjähriger Gefangenschaft sich seinem irdenen Kerker entwindende Geist aus »Tausend und Eine Nacht«, stieg drohendes Gewölk über den westlichen Horizont empor. Weithin gegen Süden und Norden, ähnlich gewaltigen, den Erdball umschlingenden Armen, dehnten sich die wirbelnden Dunstschichten aus. Zerzaustes Gelock umflatterte das Riesenhaupt. Massig lagerte der aus Unwettern zusammengefügte Leib auf der unabsehbaren Wasserfläche, die sinkende Sonne und das sie begleitende Abendroth düster verhängend. Der Sturmwind rüttelte und schüttelte sich. Das Meer erwachte. Seufzend rollte es seine Wogen einher, um sie im heftigen Anprall an einer Felsenküste mit Donnergetöse zu zerschellen. Bang kreischten die Möven. Heerdenweise umschwebten sie die schaumumgürteten Klippen; einzelne schmiegten sich in pfeilgeschwindem Fluge der beweglichen Wasserfläche an. Wie dem Beispiele dieser letzteren folgend, erschien und verschwand wieder ein fest gezimmertes Fischerboot zwischen den grauen Wasserhügeln. Von zwei kundigen Männern gesteuert, glitt es mit der durch den Sturm erzeugten Strömung gerade auf die Klippen zu. Mast und Segel lagen müßig auf den Bänken. Nur ihren Riemen und der Kraft ihrer Arme vertrauten die beiden wettererfahrenen Genossen Angesichts der gefährlichen Küste. Unterhalb des zusammengeschnürten Segels lagen festgestaut Netze und das zu denselben gehörige Tauwerk; auch schiffförmig gemeißelte Holzblöcke mit bewimpelten Flaggenstöcken und Ballaststeinen, dazu bestimmt, die Richtung ausgelegter Fischnetze zu bezeichnen und deren Auffinden zu ermöglichen. Erst wenige Stunden hatte das Garn gelegen, als die plötzlich aufspringende Kühlte dessen schleunige Bergung erheischte.
Der Fischereibesitzer war nicht daheim; sein junger Gehülfe unterzog sich daher der nicht ungefährlichen Aufgabe. Ihn begleitete ein in dem Strandort unabhängig lebender alter Seemann, der das unwirrsch brausende Meer gewissermaßen als seinen unterthänigen Knecht betrachtete. Munter waren sie hinausgesegelt und ohne eine Masche zu zerreißen hatten sie das Garn eingeholt, als der Wind sich in einem Maße verstärkte, daß sie das Segel nicht länger zu stellen wagten. Um nach dem heimatlichen Orte zu gelangen, hätten sie gegen den Wind vieren müssen. Gegen die Strömung zu rudern, wäre noch unausführbarer gewesen. Sie entschlossen sich daher, ein anderweitiges Unterkommen zu suchen, unter Zurücklassung von Boot und Garn am folgenden Morgen auf dem Landwege heimzukehren und das Niedergehen der schweren Dünungen abzuwarten. Obwohl eine zerrissene Felsenküste sich vor ihnen ausdehnte und das schnell heraufziehende Unwetter den Einbruch der Nacht zu beschleunigen drohte, saßen die beiden Gefährten so gleichmüthig auf ihren Ruderbänken, als hätte, statt der sie zeitweise treffenden Sprühregen, die behagliche Wärme eines verschwenderisch geheizten Kachelofens sie angeweht. »Lug scharf aus, Junge!« unterbrach der alte Theer nach einem kurzen Kampfe mit zwei vor dem Bug des Fahrzeuges sich vereinigenden Wogen das bereits Minuten dauernde Schweigen, »denn weht’s nicht binnen jetzt und einer Stunde die Haare vom Kopf, will ich nicht auf den Namen Thomas Ghost getauft sein!« Der Angeredete, ein Matrose von höchstens sechsundzwanzig Jahren, mit offenem, blühenden Gesicht und blauen, ehrlichen Augen, betrachtete ein Weilchen den vor ihm sitzenden Gefährten, dessen kurze, gedrungene Gestalt nur theilweise in der sie umgebenden faltenreichen Hülle von gefirnißtem Segeltuch erkennbar, mit heiterem, schadenfrohen Ausdruck. »Glaub’s gern, Vater Ghost,« antwortete er sodann bedauernd, »und wenn Jemand wünscht, daß Ihr jetzt in Eurer Koje bei einem Glase heißen Gins sitzen möchtet, so bin ich es, der Abel Hardy.« Ghost warf einen Blick über die Schulter, wie um sich zu überzeugen, ob der ausgesprochene Wunsch ernstlich gemeint sei. Auf seinen harten, vernarbten und wettergebräunten Gesichtszügen spielte dabei ein eigentümliches Mißtrauen, und indem er das eine seiner kleinen, schwarzen, durchdringenden Augen halb zukniff und den Tabaksknoten von der einen Backentasche nach der anderen hinüberschnellte, verzog er die breiten, in einem ergrauten Kinn und Backenbart fast verschwindenden Lippen zu einem höhnischen Grinsen. »Und wenn Du, Abel Hardy, in diesem Augenblick die Wahrheit geredet hast, will ich heute noch, in meinem zweiundsechszigsten Jahre, an der ersten besten Raae, und obenein kieloberst aufgehißt werden,« schien er endlich mit vieler Mühe aus seinem Tabak herauszupressen. Dann seine volle Aufmerksamkeit dem von ihm geführten Riemen zukehrend, fuhr er fort: »Ja, mein Bürschchen, Dich kenne ich so genau, wie ’nen gesalzenen Häring, und wenn Jemand zu dieser Stunde und bei diesem Wetter um ’nen hübschen Haufen Silberschillinge keinen Anderen bei sich haben möchte, als den alten Thomas Ghost, so bist Du es wiederum, Du, der lustige Abel Hardy.« »Läugne ich’s denn?« lachte Hardy, und das zähe Ruder bog sich unter der Gewalt, mit welcher er es nach sich zog, »aber ich glaubte, Euch so ’ne Art Trost schuldig zu sein, weil ich Euch aus Eurer Koje fortlockte.« «Verdammt!« knurrte Ghost unwirsch vor sich hin, »ohne meinen eigenen freien Willen hätten zehntausend aufgeheizte Dampfmaschinen mich nicht um die Breite eines Schiemannsgarns von der Stelle bewegt.« »Um so schätzbarer Eure Gefälligkeit,« versetzte Hardy, »und ich bezweifle nicht, wenn Borger erfährt —« »Hol der Satan Dich sammt Deinem Borger!« fiel Ghost grimmig ein, »stelle ich meinen Fuß überhaupt einmal auf eine getheerte Planke, so geschieht’s zu meinem Vergnügen und von wegen des Salzwassers, und am wenigsten, um Jemandem gefällig zu sein. Um aber durch ’n Paar Augen, wie die der Aennchen Borger, aus dem regulären Cours getrieben zu werden, mußte ich meinen klaren Verstand bis auf den letzten Zoll verborgt haben.« Hardy peitschte mit seinem Ruder, als hätte er die schäumenden Fluthen für die nach seiner Ansicht sehr unehrerbietige Aeußerung über die junge Fischertochter verantwortlich machen wollen. Sein frischer Lebensmuth überwog indessen die leichte Anwandlung von Verdruß, und hell auflachend, rief er dem ihn umsausenden Winde entgegen: »Wer’s so weit gebracht hat, wie Ihr, der hat ein gutes Recht, so zu sprechen!« »Wie weit?« fragte Ghost und warf den Kopf mit einer heftigen Bewegung nach seinem jungen Gefährten herum. Hardy blickte lustig in die von buschigen Brauen beschatteten funkelnden Augen und antwortete gutmüthig: »Weit genug, um leben zu können wie ein pensionirter Admiral.« »Höre Maat,« grollte Ghost, während seine knochigen Fäuste das Ruder handhabten, als sei es ein Theelöffel, das tosende Meer dagegen nur ein etwas zu heiß gerathener Grog gewesen, »fahre so lange, wie ich gefahren habe, und versuche, ob Du nicht eben so leben kannst.« »Verdammt! ich fuhr lange genug, um zu wissen, daß damit nicht viel zu gewinnen, oder ich wäre nicht Fischerknecht geworden,« versetzte Hardy spöttisch, »habt Ihr andere Erfahrungen gemacht, wird’s wohl so sein, wie die Leute sagen.« »Und was sagt das Lumpenpack?« »Sie nennen zwar keinen Namen, aber sie sprechen von ’ner guten Heuer auf ’nem Corsaren, von einträglichem Schmuggelhandel und von Geistern, die von fliegenden Holländern desertirten.« »Weil das englische ›Ghost‹ auf Deutsch ein ›Geist‹ ist? Nun, laß sie reden, was sie wollen, mir soll’s nicht den Geschmack von ’ner Pfeife Tabak verderben.«
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