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Der Geiser der Träume – Olaf K. Abelsen

Das Felsennest, in dem Jörn Haskielt und ich damals in den Horn-Bergen als Gäste des uralten Sioux-Häuptlings wohnten, wurde in jener stillen Nacht des nahenden Herbstes Schauplatz meiner tiefsten Demütigung. Wen Kain da in der jäh herabsinkenden Finsternis der Wohngrotte, in der ich schreibend noch verweilt, angesprungen hatte, konnte ich nicht im entferntesten ahnen. Fremde hier in den öden Horn-Bergen, in denen nicht einmal ein kanadischer Fallensteller vorübergehend sein Lager aufschlagen würde?! Fremde – hier?! Lauschend stand ich in der Dunkelheit und vernahm nur das röchelnde, wütende Knurren meines zahmen Wolfes, der – das Bild konnte ich mir unschwer ausmalen – den Mann hintenübergeworfen und nun das furchtbare Gebiß an seiner Kehle hatte. Abwarten. … Bis aus der tiefen Schwärze des Nichts der lichtlosen Finsternis ein breiter Blitz sich löst und wie eine lautlose Welle mit grellweißer Schaumkrone mich umflutet. „Hände hoch!!“ Eine Stimme, die hart und rauh ist gleich dem Gestein dieser Grotten, selbstbewußt und herrisch dazu, gewöhnt an Befehle, die unbedingt Beachtung heischen. Ich blinzele in den Brennpunkt der strahlenden Glaslinse da vor mir, und ein Gefühl der Hilflosigkeit lähmt mir Geist und Glieder. Das Licht bannt mich. Was hinter diesem gleißenden Vorhang steckt, weiß ich nicht. Eines weiß ich: Der Mann, den mein Freund Kain niederwarf, hat mir dieses kurze, scharfe „Hände hoch!“, diese eindeutigste aller Aufforderungen, nicht zugerufen. Zwei sind es bestimmt. Und deshalb – – gehorche ich. Kains Leben ist bedroht … Eine tückische Kugel, und das Tier verröchelt. Und das darf nicht sein. „Töten Sie den Wolf nicht, – er ist zahm!“, sage ich überhastig und rühre mich nicht. „Kain – hierher!!“ Das dumpfe, grollende Knurren erstickt, und mit hängender buschiger Rute schleicht widerwillig durch die schimmernde Lichtbahn der Wolf vor meine Füße und tut sich nieder. Eine Männergestalt folgt, hält sich außerhalb des Bereiches des blinkenden, blendenden Kegels und schiebt sich zwischen Wand und Tisch hinter mich. Eine kalte Pistolenmündung berührt mein Genick, – inzwischen habe ich bereits erkannt, welcher Art die Angreifer sind. „Hände nach hinten – keine Dummheiten!!“ … Mit einem Pistolenlauf am obersten Rückgrat denkt man nicht an Dummheiten. Meine Arme senken sich, und die taschenspielerhafte Gewandtheit listigen Tuns befördert mit nachhelfendem Zeigefinger die im Ärmel steckende Waffe noch höher. Stahlschellen knackten … Gefangen …! Wut, Grimm wollen hochquellen und den kühlen Verstand überfluten. „Da hätten wir Sie ja, Abelsen!“, sagte Inspektor Brance fast freundlich. „Schade um Sie! Hörte viel Gutes von Ihnen. Haben sich droben bei Fort Maupherson sehr anständig gezeigt, aber Dienst ist Dienst, und hinter Ihnen her rennt so ein gedruckter Wisch seit Jahren: Steckbrief! Tut mir leid … – Setzen Sie sich.“ Der andere mit der Karbidlaterne kommt näher, und Brance zeigte mir ordnungsgemäß Haftbefehl und Ausweis und meint: „Hoffte, Sie hätten sich längst wieder von hier entfernt, Abelsen.


Wäre mir angenehmer gewesen. Mußten doch wissen, daß drüben am Fluß seit langem das Gerede ging, Sie steckten hier bei der alten Rothaut. War leichtsinnig von Ihnen, Mann.“ Er zündete die Lampe an und setzte sich mir gegenüber, betrachtete mich, und in den großen, grauen Augen des tiefgebräunten Gesichts flackert ein Etwas, das die biederen Worte widerlegen will. Man kennt Menschen. Dieser Brance redet mit gespaltener Zunge. Der andere hält sich fern, lehnt an der Wand, und der breitkrempige Hut beschattet sein Gesicht bis zum Kinn. Aus dem Schatten glühen Augen, die mir auch nicht behagen, und der geringe Argwohn, daß hier irgend etwas nicht in Ordnung, verstärkt sich und macht mich zum kritischen Beobachter. Inspektor Brance hat die breiten Flossen und die Unterarme auf den Tisch gelegt und läßt das Schloß seiner Zigarrentasche auf und zu schnappen, überlegt, nimmt eine Zigarre und schneidet ihr umständlich die Spitze ab. „Wo stecken Ret Hand und dieser Riese Jörn?“, fragt er so nebenbei. „Karibujagd – nein Hirschjagd …, – sind unterwegs, Inspektor.“ Wenn der hagere Brance nur nicht diese schmierigen, muskulösen Hände mit den abgebrochenen Nägeln hätte, die vor Schmutz starren: Trauerränder! – Ich kenne doch die kanadischen Berittenen von Fort Maupherson her, und all die feinen Kerle da hielten etwas auf ihr Äußeres. „Seit wann?“, fragte Brance kurz angebunden. Sein mageres Gesicht ist frisch rasiert, aber das Messer muß verdammt stumpf gewesen sein: Kratzer an Kratzer! „Seit heute …“ „Und wie lange?“ „Sie nahmen den Hundeschlitten mit, wir brauchen Proviant … Werden übermorgen zurück sein, schätze ich.“ Brance reibt ein Zündholz an, und dabei sehe ich, wie kurz ihm die Ärmel der Uniformbluse sind. Zu kurz … „Dann …“, sagte er und schielte nach Kain, der aufrecht sitzt und dem der Geifer über die Lefzen tropft … „… dann wäre das ja so weit in Ordnung. Mein Befehl geht nämlich auch dahin, Abelsen, Ret Hand und Ihren Freund Jörn mitzubringen.“ Er qualmt, und seine dünnen Lippen lutschen an der Zigarre wie beim Genuß einer lang entbehrten Anregung. „Sergeant, – – die Stricke!!“ Der andere wirft ihm zwei Stricke zu. „Wollen uns hier mal genauer umsehen, Abelsen … Werden Sie so etwas an den Tisch binden. Werden nichts dagegen haben, – Dienst bleibt Dienst …“ Als er sich erhebt, knurrt Kain und sträubt das dicke Genickhaar. „Unangenehmes Vieh“, – Brance spielte mit seiner Pistole, und mich überläuft es heiß und kalt. „Schonen Sie das Tier!“, bitte ich, obwohl mir die Zunge steif ist vor Widerwillen. Die beiden Vertreter der hohen Obrigkeit sind anderen Schlages als die da droben am MackenzieDelta. Möglich, daß der Dienst in dem elenden Nest Patamak sie verbauern ließ.

Brance zaudert. Die Pistole – es ist eine Dienstpistole, und mein Verdacht von vorhin flaut ab und war im Grunde wohl auch unsinnig – behält spielerisch die Richtung bei – nach Kains schönem, glattem Kopf … Mein Herz schlägt rascher. „Inspektor, mir ist das Tier ein Freund … Es wäre eine Roheit 1 , …“ Brance bindet mich fest, und ich … spreche zu Kain, damit er ruhig bleibt, sich niedertut. Seine feurigen Augen hängen an meinem Gesicht, und ich lächele ihm zu, als wäre all dies hier durchaus nichts Bedrohliches. „Jarley, mitkommen!“, befiehlt Brance, nachdem er die Fesseln nochmals geprüft hat. Also Sergeant Jarley heißt der Lichtscheue. Ist nur ein kleiner, dicker Kerl, der Jarley, und seine Bluse sitzt prall wie ein Trikot. Der Uniformvorrat in Patamak muß kläglich sein, oder der Schneider ein Pfuscher. Brance nimmt die Laterne, und sie verschwinden dort im Seitengang, der das Loch im Boden enthält: Schlupfloch zu Ret Hands tieferer Etage! – Der alte Sioux haust dort für sich allein mit seinen blutigen Erinnerungen, die über mehr als siebzig Jahre zurückgreifen, bis in die Zeiten des Vernichtungskampfes gegen die rote Rasse. Ret Hand war es, der den Rest der Dakota-Sioux hierher führte in die Einsamkeit nach wochenlangem Ritt. Ret Hand ist der letzte, allerletzte … Was jung und kräftig und fähig zum Aufbau des Nachwuchses, fegte ein Tornado gen Himmel und warf zerfetzte Leiber wieder hinab in das breite Felsental da draußen. Drüben in der Nebengrotte hockten fünfzehn Indianermumien mit gefletschten Zähnen und leeren Augenhöhlen: Ret Hands Stammesbrüder! – Kain schiebt sich näher und legt mir die Schnauze auf das Knie. Für seine dürftigen Beweise von Zärtlichkeit habe ich im Augenblick wenig Sinn. Das, was für Minuten hinabgedrängt war vor dem Gebot des Zwanges, schäumt in mir wieder empor und brandet zum Kopfe mit betäubender Kraft: Frei sein – – fliehen!! Ich – ich vielleicht in Patamak einziehen als Schaustück für Flößer, Siedler, Kinder, Weiber, – ich hinein in irgend eine Zelle – – ich?! Lächerlich, mich hier an diesen Tisch zu fesseln, der doch nur ein Gestell aus Ästen, überzogen mit einer Hirschhaut, ist! Lächerlich dies Riemenzeug, das Inspektor Brance da ziemlich oberflächlich um meine Füße, Brust und Nacken und besagten Tisch schlang! … Die rauschende Welle flutet zurück, das Klingen in den Ohren verstummt, – ein freier Kopf gebiert die Gedanken an Freiheit, und die Ruhe der bewußten Tat schärft alle meine Sinne. Ich horche … Höre … Tropfen fallen drüben hinab in den tiefen Schacht – so gleichmäßig wie das Ticken einer Uhr: Sickerwasser, das durch die Mauern des Gebirges schleicht und sich sammelt und die feinsten Ritzen zum weiteren Wege nach abwärts sucht. Das ist alles: Tropfen! Fallende, klingende Tropfen. In diesen Grotten herrscht die Stille der Ewigkeit, des Todes. Und dann – ein langsames Anziehen der ausgestreckten Füße, – Holz splittert, der Tisch biegt sich, die Lederhaut wird schlaff, – noch ein paar scharfe Knacke brechender trockener Äste, und der Tisch ist nur noch ein Knäul von Holz, Leder, Riemen … Möglich, daß Brance mir die Kräfte nicht zutraute. Möglich, daß er dem Holzgestell des Tisches eine Festigkeit beimaß, die es nicht besitzt, – – was ich jetzt mit Fußtritten von mir streife, sind die Reste dieses Tisches, an dem ich so manche Stunde gesessen und geschrieben habe. Schlaff gewordene Riemenschlingen fallen von mir ab wie lästiges Unkraut. Gewiß, die Lampe, die Brance angezündet hatte, ist in den Falten der Hirschhaut versunken, brennt noch, – Petroleumgestank verbreitet sich, ich arbeite in halber Finsternis, bis das ausgeflossene Petroleum und das ölgetränkte Fell Feuer fangen. Wie ein Aal winde ich mich schließlich aus den Trümmern heraus und entledige mich als nächstes der Handschellen, indem ich die gefesselten Arme – auch nur Übungssache und Muskelbändergeschmeidigkeit! – nach vorn vor den Leib schwinge und mit geballten Fäusten die Bewegungen mache, als ob man ein Wäschestück auswringt. Daß dabei Hautfetzen, etwas Fleisch und reichlich Blut mit verloren gehen, hat nichts zu besagen. Die Knochen bleiben heil, die Handschellen nicht, und um jedes Handgelenk trage ich nun vorläufig eine Armspange, die ehrlicher verdient ist als mancher andere Schmuck. Ich könnte jetzt, wenn ich es wollte, mit Brance und Jarley ein wunderbares Stücklein spielen, bei dem ich die allgemeine Regie hätte und meine gute Snidersbüchse dort in der Ecke der Taktstock wäre.

Die Klugheit verbietet dies. Immerhin sind es Beamte, und ich verspüre nicht die geringste Lust, mich mit der kanadischen Polizei ernsthaft zu veruneinigen. Der Klügere gibt nach, und bepackt mit einem Bündel und begleitet von Kain husche ich wie ein Schatten in den westlichen langen Felsengang hinein, der allmählich aufwärts bis zu jener Öffnung in der Bergkuppe verläuft, von der aus ich freies Gelände – frei für mich – vor mir habe. Mann und Wolf stiegen den Steilabhang hinab in das Paralleltal und tauchten in der kühlen Finsternis einer schmalen Schlucht unter. Mann und Wolf wandten sich nach Norden, wo die von Bergausläufern begrenzte Prärie lag mit ihrem herbstlichen Blumenteppich, ihren Buschinseln und Buchenhainen, Felsgruppen und murmelnden Quellen, – ein Gebiet von vielleicht sechs Quadratmeilen, ein Paradies, in Stein gebettet, das nur nach Norden zu mit der großen kanadischen Wildnis ungehemmte Verbindung hatte und in sie überging. Mückenprärie nannte der alte Ret Hand dieses Paradies, das von den Pelzjägern gemieden wurde der Stechmücken wegen. Dieser Prärie strebten Mann und Wolf in eiligem Marsche zu. Die Mondsichel stand dicht über den östlichen Bergkuppen, das Heer der Sterne flimmerte wie in eisiger, klarer Winternacht, die ozonreiche Luft dieser Berge und schweigenden Waldstücke erfrischte und feuerte an, und die erste Quelle spendete mir reichliches Naß, die Wunden an meinen Handgelenken zu säubern und saubere Leinenstreifen, mit Hirschtalg bestrichen, über die zerfetzte Haut zu wickeln. Eine Quelle war es, die ich bisher nicht kannte. In fröhlichem Bogen entsprang sie einer Steilwand, versickerte in dicken Moospolstern und bildete weiter unten in diesem engen Tale einen kleinen Weiher, auf dessen blankem Spiegel das ganze Firmament samt der Mondsichel zu sehen waren. Ich hatte mich niedergesetzt, Kain strolchte lautlos umher, schon vorhin hatte er ein armes Kaninchen als Nachtspeise zum längst genossenen Abendbrot verzehrt, aber ein Wolf bleibt ein Wolf, und die Gefräßigkeit liegt ihm ebenso im Blute wie die erstaunliche Fähigkeit zu tagelangem Fasten. Ich vergegenwärtigte mir die letzten Ereignisse nochmals. Ich sah das harte, kantige, magere Gesicht des langen Inspektors Brance mit den grauen, etwas frech-scheuen Augen, ich hörte die herrische, knarrende Stimme und dieses leise Lachen – dieses Lachen, als ich von „Roheit“ gesprochen und um Kains Leben beinahe gebettelt hatte. Wie anders schätzt man doch Geschehnisse ein, wenn auch nur die Spanne zweier Stunden wie hier zwischen Gegenwart und Vergangenheit liegt! Nichts ist trügerischer als der Augenblickseindruck – selbst die äußerste Ruhe der Nerven und die sachlichste, kühlste Beobachtungsgabe wird dem „Augenblick“ nie gerecht. Erst der gewisse Abstand von Menschen und Dingen zeigt uns das wahre Bild des Gewesenen. Urplötzlich war der Argwohn meiner Seele wieder erwacht. Brance und Jarley konnten niemals, davon war ich nun überzeugt, Beamte aus Patamak sein. In so schlecht sitzenden Uniformen stecken keine kanadischen Berittenen, so ungepflegte Hände hat kein oberer Beamter einer auserwählten Truppe! Und der Haftbefehl, der Ausweis?! Ein neuer Gedanke trieb mich hoch … Und der Gedanke entsprang den haltlosen Gerüchten, Ret Hand habe in seinen Grotten ungeheuere Schätze verborgen – – Gold, Nuggets 2 , Goldkieseln!! „Kain, hierher …!“ Ich hatte plötzlich Eile. Die Prärie, die Gefährten waren vergessen. Und Mann und Wolf trabten den Weg zurück, den sie gekommen, bogen schließlich nach Osten ab, erreichten das breite, lange Tal, in dessen westlicher Steilwand Ret Hands Höhlenwohnung wie ein Fuchsbau sich ausdehnte, und schlichen zuletzt wie Gespenster im Dunkel der verstreuten Felsen dahin, bis … bis Kains spitze Wolfsschnauze mich in die Seite stieß und mir Gefahr meldete. Im Nu die Büchse im Anschlag … Im Nu Finger am Drücker … Und dann … lächelte ich still vor mich hin … Dort vor uns pendelte in leichtem Nachtwind, der durch das Tal strich, ein heller, gestreifter Mantel hin und her, den jemand an den oberen Ast einer verkrüppelten Kiefer gehängt hatte. Ich drückte Kain sanft zu Boden, legte meinen schweren Rucksack neben ihn, huschte allein weiter. Noch waren es hundert Meter bis zum Eingang der Höhlen, und gerade hier lagen verstreut die gigantischen, bemoosten Blöcke, hinter denen ich vor Tagen Schutz gesucht, als zwei Schurken ihre Patronen an mir vergeudeten. Zuletzt schob ich mich kriechend hinein in den engen Hof dieser Bergestrümmer, – und in den Hexenduft mengte sich der scharfe Dunst von warmen Pferdeleibern. Ein Schnauben, Scharren noch, – – ich hob den geduckten Kopf, und ich sah Gaby Mills zum ersten Male.

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