V Ein Abenteuer eines Zollbeamten. or dreißig Jahren, als ich noch Beamter im Sr. Majestät Zollwesen war, befanden sich die Küsten-Gesellschaften Englands in einem ganz anderem Zustande als heutzutage.Der Schleichhandel stand in voller Blüte, hohe Zölle und hohe Preise verlockten den Schmuggler zur rastloser Thätigkeit und von der Seite der Regierungsorgane fand keineswegs jene gleichförmige Wachsamkeit statt, welche die jetzige Zeit auszeichnet. Obschon ich ein alter Mann bin und eine natürliche Vorliebe für vergangene Zeiten hege, wo ich noch jung und kräftig war, kann ich doch nicht umhin, zu gestehen, daß der Seedienst an der Küste zur Verhütung de Schmuggelei unter der Regierung der Königin Victoria die Küsten in viel besserer Ordnung und Sicherheit erhält, als er unter der Herrschaft ihres Großvaters und ihrer Oheime der Fall war. Wie konnte es auch in der That anders sein. Wir wurden durch Privatzunft ernannt, ohne alle Rücksicht auf den Verdienst, unsere Vorgesetzten kümmerten sich selten um uns und wir hatten hundert Gründe für unsere Faulheit und Nachlässigkeit; manche von uns waren träge, andere furchtsam und nicht wenige waren bestochen, um Nichts zu sehen und zu hören. Dann waren auch die Mittel, mit denen wir arbeiten sollten, eben nicht von der besten Sorte. Jene Seehäfen welche Mitglieder in Parlament schickten, besaßen ihre eigenen Zollboote, die mit Bürgern bemannt waren, die fette Gehalte bezogen und ihrer Stimmen willen und nicht wegen ihrer Seetüchtigkeit gewählt wurden. Ich habe die Bemannung eines Bootes gekannt, welche des Ruderns völlig unfähig gefunden wurde, als sie zum Dienst gerufen werden sollte; und doch waren diese Leute die Gehilfen, auf welche wir uns verlassen mußten. Unsere Eigenen Leute waren nicht viel besser, die Zollrotte, wie sie genannt wurde, bestand aus liederlichen Taugenichtsen, die selten nüchtern und nicht selten mit den Schmugglern im Bunde waren. Im besten Falle waren sie in einem solchen Maße störrig charakterlos daß es Niemand glauben würde, wer die tüchtige, wohldisciplinierte Küstenwache des heutigen Tages kennt. Unter solchen Umständen ist es nicht zu wundern, daß uns so viele Prisen durch die Finger schlüpften. Das wahre Wunder ist, daß wir dennoch so viele Fänge machten. Aber nicht alle von uns waren Drohnen im Bienenkorbe. Einige waren so eifrig, als es nur möglich war, und zu diesen zählte im Jahre 1827 auch ich. Ich war damals ein junger Mann, aber ich stand schon einige Jahre im Zolldienst und da ich vor Kurzem zu berittenen Zollbeamten befördert worden war, bezog ich ein hinlängliches Gehalt, um heirathen zu können. Meine Station lag an der Kentischen Küste, nicht weit vom Städtchen D. Und sie bot mir reichliche Gelegenheit; meine Thätigkeit und meinen Eifer für die Sache des Königs zu beweisen. In jenen Tagen war Kent und Sussex da Hauptquartier eines ausgedehnten Schleichhandels. Die meisten Matrosen längs der Küste waren in den Schleichhandel verwickelt, fast alle Krämer, der Stadt, hatten ihre Capitalien hineingesteckt und meilenweit in‘s Land hinein hatten selbst Pächter wenigstens einen jährlichen Antheil an schmugglerischen Unternehmungen. Noch jetzt steht gar manches alte Haus, unter dem sich alle Gattungen von geheimen Kellern und Höhlen befinden, in welche Thee und Branntwein und andere Waaren nach ihrer ersten Ladung aufgespeichert wurden; von dort wurden Sie nach den Scheunen der der Küste naheliegenden Pachthöfe oder verlassene Ziegelöfen und Steinbrüche, in Höhlen und Wälder oder nach anderen Versteckplätzen gebracht, bis sie nach London geschafft wurden. Landeinwärts gab es große Magazine von geschmuggelten Waaren, von deren Vorhandensein wir nur eine unbestimmte Kenntnis hatten, mit denen wir uns jedoch nicht zu befassen wagten, so unglaublich Dies auch Jenen scheinen mag, die daran gewöhnt sind, das Gesetz für allmächtig zu halten. Aber die Wahrheit ist, daß wir es nicht wagten, in der Unterdrückung solcher Praktiken zu weit zu gehen. Hätten wir nach dem vollen Maßstabe unserer Pflicht gehandelt, so hätten wir in ein Wespennest gestochen und wahrlich wenig Ursache zu lachen gehabt.
Die Beschlagnahme eines Schiffes samt Ladung nahmen sich die Schmuggler nicht allzu sehr zu Herzen: ihre wohlbekannte Berechnung war, daß ein glücklich ausgeführtes Unternehmen den Verlust zweier Frachten bezahlte, so enorm war ihr Gewinn in jenen Zeiten des Repressivsystems. Aber wenn wir, — die Philister, wie sie ins hießen — uns ihre versteckten Höhlen und Schlupfwinkel mengten, so betrachteten sie einen solchen Eingriff als ehrloses Spiel und ahndeten es demgemäß. Mehr als einmal hatte ich von achtbaren Bürgern und Pächtern wohlmeinende Warnungen empfangen, daß ich in der Ausübung meines Berufes allzu scharf wäre, daß mir mein Diensteifer keine guten Früchte tragen würde und daß es besser wäre, ich nähme mir ein Beispiel an dem alten Herrn Praboby von D., der durch vierzig Jahre den Rechten der Krone mit heilsamer Kurzsichtigkeit nachgesehen hatte, zur großen Zufriedenheit aller ehrlichen Krämer. Aber ich war zu jung und zu heißblütig — ich hoffte, ich darf beisetzen, zu ehrlich — um diesem freundlichen Rath zu folgen. Der Gedanke, ein stummer, zahnloser Wachhund zu sein wie der alte Lieutenant Praboby, und weder zu beißen noch zu bellen, sondern unter solchen Vorwänden des Königs Brot zu essen, hatte für mich etwas unüberwindlich Abstoßendes. Mir machte es Vergnügen meine Pflicht zu erfüllen und die Belohnung meiner Vorgesetzten zu empfangen, die bereits an meine weitere Beförderung zu denken anfingen. Ja ich empfand eine Art Freude, wenn ich daran dachte, daß mein Name bekannt und meine Wachsamkeit von den verwegensten Desperados der Küste gefürchtet war, und daß meine Heldenthaten sogar ein Plätzchen in dem Winkel eines Provinzblattes gefunden hatte. Aber ich hatte noch einen anderen und gewichtigeren Grund, Alles aufzubieten, um durch besondere Verdienste eine Beförderung zu erreichen. Ich war verheirathetet, wie ich schon gesagt habe, und zwar mit einem Wesen. Das in einer Sphäre, als meiner eigenen geboren war — mit der verwaisten Tochter eines Geistlichen. Heiter und lächelnd hatte Lucy meine Armuth getheilt; aber ich sehnte mich darnach, ihr jene Bequemlichkeit und Annehmlichkeit des Lebens zu verschaffen, an die sie in ihrer Jugend gewöhnt war, und es geschah hauptsächlich ihretwillen, daß ich mich bemühte, in meinem Berufe eine höhere Stellung zu erklimmen. Möge Niemand darüber lachen, daß ein Zollschnüffler ehrgeizig sein könne. Gewiß gibt es manchen Beruf, der beliebter und höher ist, aber kein Stand verdient gänzlich verachtet zu werden, in welchem ein Mensch seine ehrliche Arbeit leisten und seine Hände von Schurkenstreichen rein halten kann. Der Herbst jenes Jahres, das ich genannt habe, war sehr rauh und die Witterung schlecht und stürmisch. Solche Zeiten lieben die Schmuggler. Lichte Nächte und mondhelles Meer sind weniger nach ihrem Geschmack, als das finstere und schmutzige Wetter, das ihre Unternehmungen vor feindlichen Augen verdeckt. Trotz Zollbeamten waren die »Fahrten« zahlreich und gewinnbringend gewesen. Die Zollschiffe der Regierung hatten wenig Beute gemacht und die Küstenwache war beinahe immer gefoppt worden. Nur eine einzige Falle war eine großartige Beschlagnahme ausgeführt worden und ich hielt mich für den glücklichsten aller Sterblichen, weil ich die Ursache derselben war. Aber ich ließ mir wenig träumen, daß, als ich bei meinen einsamen Ritten über die Dünen auf jenen abgelegenen Versteckplatz stieß und dessen Geheimnisse entdeckte ich an mein Verderben ging! Ich stellte mir damals, wahrlich nicht vor was folgen konnte und welche grausame Rache ich heraufbeschwor, als ich diese verhängnißvolle Entdeckung machte. Der Schlupfwinkel war schon an und für sich höchst sonderbar und schlau gewählt. Neben einem einsamen Pachthof, der etwa 4 Meilen vom Meer auf den Kreidedünen stand, war ein Brunnen, ein alter, tiefer Brunnen mit Eimern, kette, und Winde und Holzdach, der sich von tausend anderen solchen Brunnen im südlichen England nicht im mindesten unterschied. Aber vierzig Fuß unter der Oberfläche war in der Seite des Brunnens eine Art Gang oder Höhle ausgegraben, die breit genug war, um zwei Menschen zuzulassen und die in eine Grotte führte, welche, aus der festen Kreide ausgehöhlt, ein trockenes, geräumiges Magazin für die Fäßchen und Ballen bildet, mit denen sie angefüllt war. Jeder hätte in den Brunnen hinabsehen können, ohne etwas Verdächtiges wahrzunehmen, und doch ich hätte sicherlich nichts entdeckt, wenn ich nicht gerade zufällig darauf zugeritten wäre, als eben zwei Männer an der Winde arbeiteten und einen Eimer an‘s Tageslicht heraufzogen, der kein Wasser enthielt, sondern einen Mann welcher mit einer kurzen, groben Jacke und rothen Mütze war und auf dem Knie ein Fäßchen hielt, dessen Aussehen sehr den Verdacht erregte, daß es mit Branntwein gefüllt sei.
Dies war mir genug; ich lenkte mein Pferd in den Schatten der Gartenmauer und schaute mit unverwandten Augen zu. Leise wie ein Jäger, der den Fuchs aus dem Dickicht hinausstehlen sieht, schlug ich den Heimweg an, mußte aber doch gesehen worden sein, denn als ich nach Stunden mit der entsprechenden Verstärkung zurückkam, waren die Spitzen und Seidenstoffe aus dem Brunnen geschafft und Sr. Majestät Diener fanden nur mehr dickbäuchige Branntweinfässer, Claret und Thee vor. Aber selbst diese Beschlagnahme machte großen Lärmen. Der Zollcommissär Sir John Bruckram kam eigens nach D., um hierüber zu berichten, er belobte mich vor dem versammelten Personale und versprach mir unter vier Augen Belohnung und Beförderung bei allernächster Gelegenheit, wenn ihn der Minister zu Tische laden würde und ihm dann die Möglichkeit geboten wäre, meine Ansprüche zu befürworten. Mit Stolz erfüllt durch diese Auszeichnung kümmerte ich mich wenig um die melancholische Weise, mit welcher einige Bürger, von denen sich voraussetzen ließ, daß sie die besten Mittel besaßen, um die Meinungen der Schmuggler zu kennen, die Köpfe schüttelten wenn sie mir begegneten und ich scherte mich noch weniger um die Drohbriefe, die mir nun zuzukommen anfingen. Letztere waren wahrhaft häßliche Documente, voll schlechter Orthographie und jämmerlich gekratzt, als ob sie deren Schreiber mit einem in nasses Schießpulver getauchten Bajonette geschrieben hätten, aber ihr Inhalt trübte gar manchmal Lucys glänzende Augen und bleichte ihre blühenden Wangen. Ich wünsche beinahe, ich hätte ein paar dieser Briefe aufbewahrt, um meine Leser mit einem Facsimile beglücken zu können, aber man kann sich leicht vorstellen, welche Art von Drohungen sich von Leuten erwarten lassen, die herzlos und roh waren wie die wilden Wogen, auf denen sie ihr verpöntes und gefährliches Gewerbe trieben. Doch schenkte ich diesen Drohungen keine weitere Beachtung, sondern strebte unablässig nach demselben Ziele wie früher.
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