Wenn all die Tränen, die durch die Ruchlosigkeit der Menschen armen, schuldlosen Wesen je über die verhärmten Wangen flossen, wirklich zu glasklaren Edelsteinen erstarren sollten, die dann beim großen Weltgericht in die Wagschale der Übeltäter gelegt würden, damit diese Wagschale tief herabsinke und die Schuldigen erdrücke, würde bei dieser allerletzten Abrechnung über Gut und Böse schließlich ein Berg von Diamanten aufgehäuft werden, der noch die Höhe des Gaurisankar überträfe …“ … Das einsame Mädchen, das diese Sätze aus einem zerlesenen Buche nochmals mit bitterem, ungläubigem Lächeln überflog, warf das Buch nach kurzem Nachsinnen in den hellen Wüstensand und stützte von neuem das zarte Kinn in die kleine braune Hand und starrte trostlos in das erlöschende Lagerfeuer. Das Mädchen glaubte an keine Gerechtigkeit mehr, glaubte weder an Gott noch an die gütig waltende Vorsehung … Dieses einsame junge Weib hier vor dem zerlöcherten Zelte und neben dem müden, schläfrigen Pferde glaubte nur noch an eins: An sich selbst!! Die Menschen hatte sie hassen und verachten gelernt, die Menschen kannte sie nur als ihre heimtückischen Peiniger und Verfolger. Sie wußte genau: Wenn sie sich selbst nicht half und nicht zäh und unbeugsam und tapfer blieb wie bisher, dann gab es keine Hoffnung mehr für sie. Keine …! – Sie hörte dort unten jenseits des Dornengeheges ihres armseligen Lagerplatzes das Keifen und Knurren der kleinen Bestien, sie vernahm weiter den tiefen Orgelton der umherstreifenden Löwen … Und – sie hatte nicht eine einzige Patrone mehr für Büchse oder Pistole … Nicht eine … Sie hatte nur ihr Messer, dort die schlammige Zisterne, ihren mageren Gaul, ihr Zelt und – – ihren ungebrochenen Mut. Sie wollte nicht sterben! Wollte nicht!! Sie hatte eine Mission zu erfüllen … Und sie würde durchhalten, würde am Leben bleiben, würde als Rächerin auftreten und den klugen, vorsichtigen Herren, die ihren Angaben mit so mitleidigen Zweifeln begegnet waren, als hätten sie eine Irrsinnige vor sich, die Beweise liefern, daß sie, sie allein, mit ihrem Argwohn das Richtige getroffen habe. Dann würde das Gesetz eingreifen müssen, und die Stunde, in der der Henker den Schuldigen den Strick um den Hals legte, würde für sie zu einem Festtag ihres begründeten Hasses werden. … Sie horchte in die sternenklare Nacht hinaus … Die gewaltigen Stimmen der stets hungrigen Löwen kamen näher. Und – sie hatte nicht eine Patrone mehr … Aber sie hatte sich selbst und ihre verbissene Zähigkeit, und eilends erhob sie sich, um frisches Gestrüpp für ihr Lagerfeuer zu sammeln. Ihr Pferd zitterte und tänzelte vor Todesfurcht hin und her … Das kleine kläffende Raubgesindel hatte sich zurückgezogen. Hoch und grell schossen die Flammen empor, und als das Mädchen den Kopf wandte, erkannte sie jenseits ihres Schutzwalles ein Löwenpaar mit zwei halb erwachsenen Jungen. Das Pferd wollte sich losreißen. Die törichte Kreatur glaubte entfliehen zu können. Das Mädchen streichelte den bebenden Gaul und ihre Augen hafteten unverwandt auf der rot beleuchteten Löwengruppe … Der männliche Löwe, ein prachtvoller Bursche mit stattlicher Mähne, duckte sich zusammen … Das Mädchen riß schnell einen glühenden Wurzelknollen aus dem Feuer und schleuderte das Geschoß wie eine Rakete im Bogen gegen ihren Belagerer. Der Wurf mißlang … Der entkräftete Arm gehorchte den ihn antreibenden Gehirnzellen nicht mehr, und der Löwe knurrte dumpf und böse und schob sich näher heran. In diesem Augenblick, wo alles von der Geistesgegenwart des einsamen Weibes abhing, fühlte sie eine seltsame Leere im Kopfe, und im Bewußtsein ihrer Hilflosigkeit und ihres körperlichen und seelischen jähen Zusammenbruches umschlang sie mit einem trockenen Aufschluchzen den Hals ihres Pferdes, drückte das Gesicht in die Mähne und weinte vor ohnmächtiger Verzweiflung, nicht vor Furcht. Das Ende war da … Ihre Tränen rannen … Erstarrten zu irgend etwas, das da urplötzlich der prächtigen Bestie in den Schädel fuhr … … Das Mädchen sank langsam in den Sand, und das zitternde Pferd beugte den Kopf ganz tief und beschnupperte mit einem rührenden klingenden Wiehern den bleichen Kopf seiner Herrin. Der Wüstenwind säuselte in dem Dornenverhau, das Zelt flatterte und zeigte all seine wehenden Fetzen, und das Lagerfeuer loderte gen Himmel wie eine dunkle, stumme Anklage …
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