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Friedrich Hölderlins Leben – Wilhelm Waiblinger

Es ist schon lange Zeit her, daß ich mir vorgenommen, der Welt etwas von Hölderlin’s Vergangenheit, seinem jetzigen Leben, oder vielmehr Halb- und Schattenleben, und besonders von dem furchtbaren Zusammenhange mit jener mitzutheilen, und ich wurde von mehr als einer Seite durch Freunde seiner Muse dazu aufgefordert. Denn ein langer fünfjähriger Umgang mit dem Unglücklichen hat mich mehr als jeden andern in Stand gesetzt, ihn zu beobachten, ihn kennen zu lernen, seinem so wunderlichen Ideengange und selbst den ersten Ursprüngen und Ursachen seines Wahnsinns nachzuspüren. Ich gab mir mehr als andere Mühe, seine Launen zu ertragen, und während die wenigen seiner vormaligen Freunde, die ihn in seiner nun mehr als zwanzigjährigen Einsamkeit besuchten, nur ein paar Augenblicke verweilen mochten; sey es, daß ihr Mitleid zu rege wurde, daß sie von der Erscheinung eines so beklagenswerthen geistigen Verfalls sich zu tief erschüttert fühlten, oder daß sie schnell damit fertig waren, indem sie vermeinten, man könne nun schon 222 einmal kein vernünftiges Wort mehr mit ihm reden, und es verlohne sich der Mühe nicht, dem psychischen Zustand des Verwirrten einige Aufmerksamkeit zu schenken: so hielt ich keine Stunde für verloren, die ich ihm widmete, besuchte ihn ununterbrochen mehre Jahre lang, sah ihn oft bei mir, nahm ihn auf einsame Spaziergänge, in Gärten und Weinberge mit mir, gab ihm zuweilen Papier zum Schreiben, durchsuchte seine noch übrigen Schriften, brachte ihm Bücher, ließ mir vorlesen und bewegte ihn unzähligemal, Klavier zu spielen und zu singen. So wurde ich nach und nach an ihn gewöhnt und legte das Grauen ab, das wir in der Nähe solcher unfreien Geister fühlen, sowie er seinerseits sich an mich gewöhnte und die Scheu ablegte, die ihn von jedem ihm nicht ganz bekannten Menschen trennte. Ich hatte nun wohl im Sinne zu versuchen, ob es mir nicht gelänge, seinen jetzigen Geisteszustand zu zergliedern und die Entstehung dieser bedauernswürdigen Verwirrung seines Innern in einer strengern, wissenschaftlichern Form von den ersten Anlässen und Motiven herzuleiten und bis auf den Punkt hin zu verfolgen, wo das Gleichgewicht entschieden verloren ging; allein es wurde mit hundert andern flüchtigen Entwürfen im Drängen und Treiben eines allzu unruhigen Lebens vergessen. Nun, da mir der wunderbare schwermüthige Freund so fern gerückt ist, und das traurige Bild des Einsamen mir eben unter süßem, südlichem Lichthimmel untergegangen war, ist es eine seltsame Anregung, die ich vom Vaterlande aus erfahre, 223 wie ich aufgemuntert werde, meinen alten Vorsatz doch endlich einmal auszuführen. Ich widerstehe denn nicht länger, wiewohl ich mir nicht vornehme, eine philosophische Zergliederung von Hölderlin’s Innerm zu wagen, sondern mich blos anheischig mache, die Beobachtungen und Bemerkungen schlechtweg mitzutheilen, welche sich mir im Umgang mit ihm aufdrangen. Freilich werden uns diese zuweilen nöthigen, ein wenig zu speculiren; allein wir werden uns immer innerhalb der Grenzen einfacher Beobachtung halten, keine psychologische Untersuchung, sondern eine schlichte Charakterschilderung entwerfen; und somit hoffen wir, den vielen, die für Hölderlin interessirt sind, die seine Muse schätzen und gern genaueres über ihn selbst hörten, einen nicht unangenehmen Dienst zu thun, wenn wir etwas von ihm erzählen und zeigen, wie sich dieser Geist verirrte, und wie er sich nun in und zu sich selbst sowie zu seiner Vergangenheit und zur Außenwelt verhält. Dabei müssen wir natürlich auch einige Worte über seine Poesie sagen, deren schönste und reifste Blüthen und Früchte endlich die so ehrenwerthen Dichterfreunde, Ludwig Uhland und Gustav Schwab, gesammelt, gereinigt und an’s Licht der Welt gestellt haben. Da wir in der That nicht wissen, ob er nur noch am Leben ist*), indem wir schon seit Jahresfrist *) Allerdings lebte er noch als der Verfasser diesen Lebensabriß 1830 für die Zeitgenossen nach Deutschland sandte, ohne wohl zu ahnden, daß Hölderlin ihn weit überleben würde, denn dieser setzt noch jetzt sein Pflanzenleben, in Tübingen fort. 224 durch weite Strecken von ihm getrennt sind, und da er bei einer nun wenigstens vierundzwanzigjährigen Abgeschlossenheit von aller und jeder Berührung mit Welt und Menschen fast nicht mehr wie ein Lebendiger zu betrachten ist, so wird es kein Verstoß gegen Gefühl und Schicklichkeit sein, wenn wir seinen Zustand öffentlich schildern. Denn wie seine Dichtung gehört auch sein Leben unserer Zeit, unserm Vaterland, unserer Kenntniß an; genug, daß wir uns hüten, dem Unglücklichen zu nahe zu treten, und daß uns die scheue, düstere Ehrfurcht vor der unbekannten Macht, mit der er sein lebelang gerungen, deren despotische grauenerweckende Kraft uns in seinen hinterlassenen Werken so oft als Gegenstand seiner Klagen und seines Kampfes entgegentritt, abhalte, mit ungebührlicher, ja frevelhafter Uebereilung ein allgemeines Urtheil über eine geistige Erscheinung zu wagen, die für uns am Ende doch ein Räthsel ist, wir mögen uns mit unserer Weisheit geberden, wie wir wollen, um sie in ihrem Wesen, in ihren Ursachen und Folgen zu zergliedern und zu beschreiben. [225] Wir theilen zuerst einiges über sein früheres äußeres Leben mit und hängen dem sogleich unsere Bemerkungen an, sobald wir etwas finden, was auf sein späteres Schicksal bezogen werden muß. Denn die Keime, die ersten Gründe und Ursachen desselben sind in den frühesten Entwickelungsjahren seines Lebens, ja gewissermaßen einzig und allein in der unselig feinen geistigen Organisation zu suchen, die bei allzu vielen Täuschungen, harten Ereignissen und traurigen Combinationen äußerer Umstände sie endlich in sich selbst zerstörte. Friedrich Hölderlin ist im Jahr 1770 zu Neislingen in Schwaben geboren. Seine erste Erziehung scheint äußerst gut, zart, liebevoll und fein gewesen zu seyn. Hölderlin behielt immer eine große Liebe zu seinem Geburtsort und zu seiner Mutter, welche noch am Leben war, als ich Deutschland verließ. Die unendliche Zartheit mit welcher der junge Geist organisirt war, die edle, feine, tieffühlende, aber allzu empfindliche Natur, eine kecke, verwegene Phantasie, die sich von den frühesten Knabenjahren an schon in dichterischen Träumen wiegte und nach und nach eine Welt aufbaute, die der reifere Jüngling zu seinem bittersten Schmerze nur als 226 Geschöpf seines Innern und als schweren, schroffen Gegensatz zur wirklichen erkannte, ein äußerst lebendiger Sinn für Musik und Dichtkunst, das waren Dinge, welche sich bald in dem Knaben zeigen mußten, und welche, wie es scheint, durch eine zarte Behandlung der Aeltern gewartet, genährt und erhalten wurden. Schon die äußere Bildung Friedrichs war liebenswürdig über die Maßen; ein tiefes, glühendes, schönes Auge, eine hohe Stirne, ein bescheidener, geistreicher, unwiderstehlich einnehmender Ausdruck gewann ihm alle Herzen. Die Herzensgüte, der angeborene Adel, die warme, lebhafte Denk- und Empfindungsweise und eine natürliche Grazie machten ihn so angenehm, als seine Fassungskraft und seine hervorleuchtenden Talente Lehrer und alle Umgebungen mit den besten Hoffnungen erfüllten. Ein reiner Sinn und ein unbeflecktes, durchaus jungfräuliches Gemüth erwarben ihm Achtung und Liebe, sowie er diese denn auch noch in seinen spätem Jahren beibehielt, als er anfing aus dem lautern Quelle seines Innern zu schöpfen, als er sich entschieden der Poesie widmete, ja noch da, als schon ein harter Schicksalsschlag um den andern an der Zerstörung seines Geistes arbeitete. Hölderlin mußte rein und ohne Flecken in seiner fast weiblich sanften Seele bleiben, wenn er nicht untergehen sollte; für ihn konnten die wilden Vergnügungen, der taumelnde Rausch der Sinne nur Verderben und Tod seyn. Der Erfolg lehrte es.

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