Ich habe im Tractate, Leben des Glaubens genannt, in der Vorrede mit wohlbedachtem Rate versprochen, meine seltsamen Leibes- und Gemüts-Plagen, mit denen ich in meinem Leben bin behaftet gewesen, in einem besondern Buche zu beschreiben, um den leiblichen, und geistlichen Ärzten Materie an die Hand zu geben, bei erbärmlichen Leibes- und Seelen-Zufällen [-Krankheiten], so ihnen vorkommen, weiter nachzudenken, und desto geschickter zu sein, ihre Patienten zu curiren, und sie von ihrem Jammer-vollen Zustande zu befreien: Und ich trage kein Bedenken, meinem Versprechen anjetzo nachzukommen. Soll ein jeder Christ seinem Nächsten dienen mit der Gabe, die er empfangen [1. Petr. 4,10], so halte ich, daß er auch verbunden sei, von solchen Leibes- und Seelen-Anliegen, und solchen wunderbaren Plagen, zu deren Erkenntnis er durch eigene Erfahrung gelanget, dem Nächsten Nachricht zu geben; insonderheit wenn dieselben noch nicht völlig bekannt, sondern noch mit Finsternis, und tiefer Nacht umhüllet sind. Gemeine Leute, so nicht studiret, wenn sie in solche betrübte Umstände geraten, kennen sich selbst nicht, und sind selten fähig, ihre Krankheiten, und Zustand denen mit Worten recht zu entdecken, von welchen sie Hülfe erwarten: Und die Gelehrten hingegen, oder die sonst hohe Ehren-Stellen bekleiden, wagen eher alles, und lassen es wohl gar auf die erschrecklichste Todes-Art ankommen, als daß sie ihre Ehre vor der Welt in die Schanze schlagen, und ein einziges Wort davon jemanden entdecken sollten. Auf meiner Seiten scheinet die Sache von solcher Wichtigkeit, und, wo nicht von absoluter Notwendigkeit, doch von solchem ersprießlichen Nutzen zu sein, daß ich nach aller Schmach, und Schande nichts frage, so ich dadurch meinem Namen in größerm Maße, als jemals geschehen, ohnfehlbar zuziehen werde. Niemand ist geschickter, Ehre, und alles zu verleugnen, und in Wind zu schlagen, als der nichts mehr in der Welt suchet, und der wenig zu verlieren hat. Nun bin ich, nach vieler Urteil, einmal schon vor der Welt zu Schanden worden, und also werde ich nicht viel darnach fragen, ob jetzt meine Schmach noch eine höhere Staf el erreichen sollte. Denn ich wäre töricht, wo ich denken wollte, die geringste Ehre, und Hochachtung bei irgend einem durch meine eigene Lebens-Beschreibung, und durch die Erzählung, und Bekanntmachung dessen, welches der Haupt-Antrieb dazu gewesen, zu erjagen. Denn die Leiden, so ich von mir erzähle, sind solche Leiden, welche insgemein ein jedermann, wie Rahel ihre Götzen, verbirget [1. Mos. 31,19–35] und welche die meisten Menschen dermaßen verabscheuen, ja dafür erschrecken, daß ich dieselben auch in meinem Lebens-Laufe nur habe mit einfließen lassen, und mit andern erfreulichen, und geringen Dingen meines Lebens, die nicht so fürchterlich sind, verknüpfen müssen, um nicht die Käufer, und Leser abzuschrecken, daferne ich sie ganz alleine in einem eigenen Tractate beschrieben, und auf der Ausschrift [Titelblatt?] mit ihrem rechten Namen genennet hätte, welche ich nicht einmal hier in der Vorrede um gleicher Ursachen willen bei ihrem Namen zu nennen das Herze habe. Ja ich halte, daß meine besten Freunde, so wenig ich auch derselben habe, hinfüro, wie die Freunde Hiobs, vor mir verächtlich vorüber gehen [Vgl. Hiob 2,11–13; 19,14; Tob. 2,14; Matth. 27,39] werden, so bald sie meine Striemen, und Beulen, meine Fehler, Gebrechen, Mängel, und Schwachheiten, welche sie bisher nicht einmal geglaubet, mit Augen sehen, und ganz einen andern Menschen an mir finden werden, als ich jederzeit von außen gegen sie geschienen. Zwar gereichte es einem vor Zeiten zu besonderm Ruhme, wenn man von ihm wußte, daß er viel hohe geistliche Anfechtungen in seinem Leben ausgestanden; und man maß die Größe der Lehrer nach der Größe der Versuchungen, welche über sie gekommen waren, weil man mit Luthero glaubte, daß die Tentationes und Versuchungen einen Gottes-Gelehrten machten. Die des alten Welleri Leben uns beschreiben, setzen seine hohe Seelen-Leiden, die er erfahren, oben an: und die größten Lehrer unserer Kirchen, Gerhard, Glassius, Lassenius, Brunchorst, Schererzius, Spener, und andere mehr, haben sich nicht geschämet ganze Bücher von geistlichen Anfechtungen zu schreiben. Aber die heutige philosophische, naturalistische, und irreligionistische Welt kann vor dem verstopften Milze, und der hitzigen schwarzen Galle [Melan-cholie] schier keine göttlichen, noch teufelischen Anfechtungen mehr finden; und, wenn sie nur von einem sagen höret, daß er in schweren Anfechtungen stecke, so krieget sie schon einen verächtlichen Begrif von ihm, als von einem milzsüchtigen [-kranken], oder gallsüchtigen Menschen, der an Einbildung krank liegt, der nicht mehr gut transspiriret, und Gespenster siehet, wo keine zu finden, und macht sich wohl gar in Gesellschaften auf seine Unkosten noch darüber lustig. Glauben aber andere ja noch dergleichen hohe Seelen-Plagen, die man geistliche Anfechtungen nennet: und sehen sie ja dieselben in abstracto, und an und vor sich selbst, als eine große, wichtige, und rühmens-würdige Sache an; so muß doch der wohl ihr sehr guter Freund, oder ihrer Partei zugetan sein, wo sie ihn nicht als einen ruhmrätigen [ruhmredigen] Menschen, der große Dinge aus sich selbsten machen will, von Stund an ausschreien sollen; insonderheit wenn sie selbst in solchen Dingen noch keine Erfahrung haben. Ich habe also es nicht wagen dürfen, meine Trübsalen in diesem Tractate göttliche Anfechtungen, oder teufelische Versuchungen zu nennen, sondern habe sie nur vor Leibes- und Gemüts-Plagen ausgeben müssen; und sollte ich mich da, und dort im Schreiben vergessen, und zu vorteilhafte Namen meinen Krankheiten beigelegt haben, so bin ich gewiß, daß ich von den Naturalisten vor einen einfältigen, und abergläubischen Toren, und von den Religionisten vor einen hochmütigen Diotrephes [Götterliebling], oder von beiden vor alles beides werde gehalten werden. Denn denke ich an meines gleichen, oder an die, so mir zum wenigsten zugestehen werden, daß ich ehedessen ihres gleichen gewesen; Lieber, von welchen sollte ich mir wohl ein Urteil der Liebe, oder, ich will nicht sagen, der Hochachtung, sondern nur der gebührenden Achtung versprechen? Wahrlich, weder von diesen, noch von jenen, ich müßte denn noch eine neutrale, und mittlere Gattung zum Voraus setzen. Nicht von diesen; denn die haben wohl noch nicht vergessen, was ich ihnen vor 10 Jahren zuwider getan; und, so sie es vergessen, so haben sie mir es vielleicht noch nicht vergeben. Nicht von jenen; denn ich habe in mehr als einem Orte meines Buches Mittel-Dinge statuiret, und die Gücks-Spiele unter solche gerechnet, und sie nicht schlechterdings vor unbetrügliche Merkmale eines unwiedergebornen Zustandes ausgeben wollen. Du möchtest sagen: »Es ist wahr, der Welt sich in manchen Dingen noch gleich stellen, mit schrecklichen und seltsamen Krankheiten von Gott heimgesucht werden, einem Unglücks-Falle nach dem andern unterworfen sein, ist freilich eben kein großer Ruhm, sondern öfters eine Folge gewisser Sünden, die vorher gegangen, und eher ein Zeichen dessen, über den Gottes Gerichte ausgebrochen, oder wenn es hoch kommt, den Gott noch zu retten, und zu bekehren bemühet ist, als dessen, der in dem Schoße Gottes schon sitzet, und von ihm hochgeachtet ist.
Du wirst doch aber auch in deinem Buche von Glücks-Fällen, und von solchen Taten zu erzählen wissen, da Gott seine Gnaden-Sonne dir scheinen, oder gar sein gnädiges Antlitz dich sehen lassen: da er nicht mehr zu dir im Wetter geredet, wie zu Hiob [Hiob 38,1], sondern in einem stillen und sanften Sausen, wie zu Elia [1. Kön. 19,12], und nach vieler Furcht und Schrecken dein Herz mit Mut und himmlischer Freude erfüllet, und Merkmale seiner Liebe dich spüren lassen.« Ich gebe dies gerne zu: es ist auch davon eines und das andere in meiner Lebens-Beschreibung angemerket; allein geliebter Leser, ist es nicht wahr, wenn einer eine Schrift dessen lieset, der nicht sein Freund ist, so hat er insgemein so kleine Augen, dergleichen die heutigen Physici [Naturwissenschaftler] noch den Maulwürfen zuschreiben, da, wo sein Feind noch gut aussiehet; und hingegen klar sehende Falken-Augen, wo seine geringste Blöße aufgedecket ist. Wenn der Apostel Paulus sein eigen Leben hätte beschreiben, und ein Geschicht-Schreiber aus den Galatern, oder Ebioniten einen Auszug uns davon hätte machen sollen; meinest du denn, daß derselbe in seinem Buche würde erwähnet haben, daß Paulus vom Himmel berufen worden [Apg. 9,3 f.], daß er in dritten Himmel entzückt worden [2. Kor. 12,2], daß er aus großen Trübsalen und Krankheiten, erlöset worden [2. Kor. 11,23–33; 12,7–10] daß er den Sohn Gottes gesehen [1. Kor. 15,8]? Ach nein! Das Gewissen hat ihn vor seinem Ende geplaget (1. Cor. 15. 2. Tim. 1. [vgl. 1. Tim. 1,12 f.]), daß er die Gemeinde Gottes, und die ersten Christen verfolget [1. Kor. 15,9; Gal.
1,13]: (gleichwie etwan [zuweilen] den Superintendenten Lobethan das Gewissen geplaget, daß er in seinem Leben öfters so jach-zornig gewesen.) Das würde das Urteil sein, so er von dem Apostel würde gefället haben. Wenn du mein Buch, und was mir 1704, 1717, 1728, 1736 begegnet, wirst gelesen haben, so wirst du die Application [Anwendung] auf mich ganz leicht machen können. Leute, deren Gunst man verschüttet, ja öfters auch so gar diejenigen, die noch alle Wertschätzung vor einen haben, dürfen auch nicht allemal of enbare Laster und wahrhaftige Sünden bei jemanden antref en: was auch nur einen Schein einer herrschenden und unordentlichen Neigung hat, ist schon fähig ihre Herzen und Angesicht gegen uns zu verändern. Der Eigen-Ruhm ist etwas, das die Menschen insgemein weder an ihrem Feinde, noch Freunde vertragen können. Er ist nicht allemal sündlich. So lange ein Mensch sich nicht zum HauptUrheber macht der guten Taten, so er getan, noch zum absoluten Herrn der Güter, so er besitzt, und sich nicht selbst zuschreibet, was Gotte beizulegen, so kann er ohne Sünde das Gute erzählen, was Gott in ihm gewürket, und die Güter zeigen, so er ihm gegeben. So gar jener Pharisäer versahe es [fehlte] nicht so wohl darinnen, daß er Gotte vor seine Gerechtigkeit dankte [Luk. 18,11], als vielmehr daß er seine halbe, und nur äußerliche Gerechtigkeit vor die ganze Heiligkeit und Frömmigkeit ansahe, und vor das dankte, was er nicht hatte, und daß Mund und Herz bei ihm nicht überein stimmten, weil er vor das dankte, was er doch nach seiner pharisäischen Religion nicht der Gnade Gottes, die solches in ihm gewürket, sondern sich selbst, und seinen eigenen Kräften zuschreiben mußte. Es ist auch vielfältigmal mehr ein Zeichen des Hochmuts bei dem, der anderer Leute Eigen-Ruhm nicht wohl vertragen kann, als bei dem, der sein eigen Lob ausposaunet, und sich selbst rühmet. Bei dem allem, so bleibet es doch dabei, was unsere Alten vom Eigen-Lobe sprüchworts-weise gesagt haben; so daß ich kaum weiß, was ich hier denken soll, wenn ich an mich selbst gedenke. Denn da ich nicht gerne Unwahrheiten in meinem Buche schreiben, und v.g. sagen wollen, daß ich in der Jugend ein ungehobelt Holz, oder Klotz gewesen, der nichts fassen, noch begreifen können, und in den die Præceptores nichts bringen können, als woran ich würde gelogen haben; so bin ich über der Erhebung meiner Gemüts-Gaben, und bei Erzählung dessen, was ich in früher Jugend schon gewesen, und leisten können, beinahe ein geistlicher Villars, oder wohl gar mit dem Apostel über dem Rühmen zum Narren worden [2. Kor. 12,11]; und es ist mir dieses selbst so eckelhaft, so daß, wenn ich einen Schluß von mir selbst auf den Leser machen will, ich nicht anders denken kann, als daß demselben bei Lesung dieser Stellen werde übel werden, oder dem, so ein Vomitiv [Brechmittel] eingenommen, das seinen Ef ect nicht tun will, nur mein Buch zu lesen raten werde, um dessen Würkung zu befördern. Ich weiß auch dem, der eher Unwahrheit, und gänzliches Schweigen, als Eigenruhm vertragen kann, keinen andern Rat zu geben, als daß er es bei Lesung meines Buches mache, wie die Königin Elisabeth in Engeland bei Anhörung der Predigten eines gewissen Bischofs, von dem sie glaubte, daß er nicht den rechten Verstand [Bedeutung] der Worte vortrüge. So oft derselbe bei Erklärung des Textes sprach: als wollte der Apostel sagen [wie der Apostel sagen wollte], so dachte sie allemal: Also [so] wollte der Apostel nicht sagen. So mache du es auch; und wenn ich v.g. von mir schreibe, daß ich im 17. Jahre meines Alters als ein Secundaner schon die Accentuation im Hebräischen verstanden, so denke du bei dir selbsten: diese hast du nicht verstanden. Und so in andern Fällen mehr.
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