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Dorothee von Kurland – Alexander von Sternberg

Bereits als ich meine «berühmten deutschen Frauen des achtzehnten Jahrhunderts» schrieb, fasste ich den Entschluss, meine liebenswürdige Landsmännin, denn es wird doch erlaubt sein, in diesem Falle die drei Provinzen: Estland, Livland, Kurland als eine zu betrachten, mit in den Kreis dieser Frauen hineinzuziehen; alsdann aber erschien mir ihr Leben zu sehr für eine ausgeführtere besondere Darstellung geeignet, um es diesen mehr skizzenhaft gehaltenen Porträts anzureihen. Es waren Elemente in diesem Leben enthalten, die den Maler der Sitten und der Charaktere einer Zeit aufforderten, an die Ausführung eines solchen weiblichen Bildes mit besonderer Vorliebe zu gehen, und so nahm ich meine Dorothee [1.VI:] aus diesem Kreise heraus und stellte ihre liebliche und bedeutende Erscheinung als den Gegenstand eines Einzelbildes vor die Staffelei. Diejenigen, die sie gekannt haben, und es leben deren noch eine große Anzahl, werden fühlen, wie mit Liebe ich dieses Bild gemalt, und sie werden entschuldigen, dass ich gerade diese Weise der Auffassung gewählt, wenn sie bemerken, dass es nur dadurch möglich wurde, die volle Schönheit und Charakteristik des Originals dem Beschauer nahe zu bringen. Eine Biographie, selbst die bestgeschriebene und am treuesten aufgefasste, tut es nicht; der dichterische Griffel muss die Rundung und Fülle der Konturen ausführen, wo das Historische uns die Andeutung geben kann. In der Malerei gibt es Porträts, und es sind gerade die von den größten Meistern gemalten, die in dem Bilde nicht die nackte Wirklichkeit, sondern die idealisierte Natur, mit einem Worte: die höhere Wahrheit geben. Es geschieht dies, indem all‘ die kleinen, unbedeutenden Details einer Physiognomie, der Ausdruck des Augenblicks, der momentanen Stimmung hinweggelassen werden und nur das schöne bedeutende Leben im Vollen und Ganzen gegeben, in dem einzelnen Menschen die [1.VII:] Menschheit selbst portraitiert wird. Eine solche Auffassung macht die Porträts meist zu Bildern, das heißt zu Kunstwerken, die für eine spätere Zeit, wo all‘ die kleinen Züge der Individualität, die für die Zeitgenossen Interesse haben, verschwunden sind, immer noch als bleibende Denkmale der Darstellung idealer Schönheit und charaktervoller Menschennatur ihren Wert behalten. Wie man solche Bilder macht? Darauf kann nur der Poet antworten, der Poet in Versen und der Poet in Farben. Aus der Werkstätte der schöpferischen Kraft gehen jene feinen Bezüge, jene, ich möchte sagen seraphischen Linien und Farben hervor, die eine Verklärungsglorie um ihren Gegenstand ziehen. Sie sind Geschenke des Genies. Man frage, wie ein Van Dyk, wie ein Rubens, wie ein Velasquez ihre Porträts malten, und man wird antworten müssen: indem sie von dem Besten, was in ihnen war, dem Bilde zufügten, freigebig und mit der Hingebung und Ausgelassenheit des Genies zufügten. Dadurch entstanden diese Köpfe, die uns noch jetzt, nach Jahrhunderten, mit den seelenglühenden Augen, dem wortezuckenden Munde, dem lebensvollen Bewegen und Regen anschauen. Eine ähnliche Kunst muss es auch geben, und es gibt auch [1.VIII:] eine solche, die einem schönen Gegenstande, durch die Schrift aufgefasst, all‘ den Zauber des Lebens lässt, ihm nichts nimmt, eher noch zusetzt. Es ist gewagt, diese Kunst auszuüben, und nur der darf daran gehen, sie darzustellen, der auf das Innigste von der Heiligkeit und Würde der Wahrheit durchdrungen ist. Denn nur sie darf ihn leiten. Die Wahrheit in dieser Art Malerei besteht jedoch darin, dass man dem Original auch nicht das Kleinste von dem nimmt, was es zu einem Porträt, das heißt zu der Auffassung einer bestimmten und begrenzten Individualität macht. Hierdurch ist von selbst die falsche Verschönerungssucht ausgeschlossen, die sich so gern die Würde idealer und poesievoller Auffassung beilegen möchte, in der Tat aber nichts anderes ist, als eine entstellende Lüge, die dem Kenner sogleich als solche offenbar wird. Wollte man diese, so oft in der Malerei geübte freche Entstellung auch in das geschriebene Lebensbild herüberbringen, so würde daraus ein abgeschmacktes, widerliches Unding hervorkommen, in welchem weder der Biograph noch der Poet seine Rechnung findet und das zu nichts taugt, als dem Publikum die ehrwürdige schöne Kunst des Bildens auf immer zu verleiden. [1.IX:] Fasst man Obiges zusammen, so wird man den Titel «biographischer Roman» sich erklären können. Er ist genommen, weil kein passenderer zur Hand lag. Einmal die Zulässigkeit einer solchen Auffassung zugegeben, fallen die daraus fließenden Folgerungen von selbst dem Verständnis zu.


Eine Biographie erfordert, dass die Tatsachen streng der Überlieferung nacherzählt werden, dass kein Lebensumstand vom Platze gerückt werde und dass genau Daten und Jahreszahlen stimmen. Hinter diesem Gitter von Holz liegen die Früchte und Blätter; der poetische Biograph oder der biographische Romandichter löst dieses Gitter ab und lässt Früchte und Blätter in willkürlich geordneten Gruppen in freiester Bewegung und in schönster Beleuchtung glänzen. Dabei ist es doch immer derselbe Fruchtbaum. Oder, wieder zur Malerei zurückzukehren: der strenge Biograph gibt das Gesicht, das ihm zur Staffelei sitzt, mit all‘ den Nebendingen wieder, die es in seinem gewohnten Lebensgange umgeben, die welke Miene der Arbeit, das gezwungene und müde Lächeln der Konvenienz, und endlich gibt er sogar die eckigen Linien der Arbeitsstube, die grellen Farben des Sessels und der Vorhänge wieder; der poetische [1.X:] Biograph wirft alles dieses fort; er hat es mit dem Menschen zu tun, und um den zur Erscheinung zu bringen, so nimmt er das Gesicht, nicht eines, Augenblicks, sondern einer Lebensepoche, nicht einer besonderen Stimmung, sondern die wechselnden Strömungen von Stunden und Jahren in ein charakteristisches Gesamtbild zusammen, und so verleiht er seinem Bilde Vergangenheit und Zukunft, indessen der starre Kopist der Natur nur immer die gegenwärtige Sekunde gibt und diese eisern und gewaltsam festhält. Ich fand, als ich daran ging, das Leben der letzten Herzogin von Kurland auf die bezeichnete Weise aufzufassen und wiederzugeben, nur wenige Hilfsmittel vor, dazu gehörten einige mündliche Mitteilungen, ein paar Dutzend Briefe von ihrer Hand und eine Biographie, die das Muster sein kann, wie eine Biographie nicht sein muss, nämlich des guten Herrn Tiedge «Leben der Herzogin Dorothee von Kurland», eine weiche, verschwommene, dergestalt in eine Sauce von Lob und Schmeichelei getunkte Speise, dass jeder charakteristische Zug, jedes feste Gepräge, ja sogar jede ursprüngliche Farbe und Linie aus diesem breiweichen Gebilde [1.XI:] verschwunden ist. Es mag sein, dass eine derartige Auffassung eines Lebensbildes zusagte der Zeit, wo Herr Tiedge schrieb, es mag ferner sein, dass Frau von der Recke, unter deren Augen jene überzuckerte Biographie geschrieben wurde, keine andere Auffassung duldete, genug, für unsere Zeit, die die Fürsten ohne Schmeichelei malt, ist ein so geschminktes Antlitz eher abstoßend als anziehend, und doppelt schlimm hier angebracht, da diese schöne und geistvolle Herzogin ein Gegenstand ist, der im höchsten Grade anzieht, wenn man ihn wahr auffasst, und der in keiner Beziehung der Schminke bedarf. Der Beurteiler, auf den oben bezeichneten Standpunkt gestellt, wird nunmehr nicht fragen, weshalb manches in diesem biographischen Gemälde so und nicht anders gestellt ist, weshalb eine Gruppe Tatsachen auf eine Weise geordnet ist, wie sie im Leben nicht gestanden, weshalb, um ins Einzelne zu gehen, die Reisen der Herzogin nach Warschau in eine Reise zusammengefasst sind, ebenso ihr öfterer Aufenthalt in Paris in ein Gesamtbild zusammengezogen ward. Es war dieses nötig, um dem Bilde eine Gesamtwirkung zu geben und den Gegenstand lebendig vor den [1.XII:] Beschauer zu stellen, ohne ihn durch zu vieles kleines angehängtes Detail, um die einem Bilde nötige Ruhe und Wirkung zu bringen. Die Wahrheit und der Charakter des Bildes hat durch diese geringfügigen Änderungen nicht gelitten, im Gegenteile ist er, so hoffen wir, lebendiger ins Licht gestellt worden, als es eine Masse Noten, Anmerkungen und detaillierter Einzelheiten und Daten hätte tun können. Auch war es nötig, hier und da den Personen fingierte Namen statt der wirklichen zu geben. So gehe denn in die Welt, schöne, reizende Frau, Du edle Verfechterin der Duldung und Humanität, Du anmutige Repräsentantin weiblicher Sitte und schöner Umgangsform, echtes Vorbild vornehmer Frauen, die es durch Sitte, Geist und Herzensbildung, nicht nur durch die Geburt sind, und erfreue die Gemüter, wie Du es im Leben getan; mich aber lass Dir danken, dass Du mir in Anfertigung Deines Bildes frohe und genussreiche Stunden geschenkt.

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