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Das Märchen meines Lebens – Hans Christian Andersen

Mein Leben ist ein hübsches Märchen, so reich und so glücklich. Wäre mir als Knaben, wie ich arm und allein in die Welt hinaus ging, eine mächtige Fee begegnet und hätte zu mir gesagt: „Wähle Deine Laufbahn und Dein Ziel: dann beschütze und führe ich Dich, je nach Deiner Geistesentwickelung und wie es, der Vernunft gemäß, in dieser Welt sein muß!“ — mein Schicksal hätte nicht glücklicher, klüger und besser gestaltet werden können. Meine Lebensgeschichte wird der Welt sagen, was sie mir sagt: Es gibt einen liebevollen Gott, der Alles zum Besten leitet! Mein Vaterland, Dänemark, ist ein poetisches Land, voller Volkssagen und alter Lieder, mit einer reichen Geschichte, die mit Schwedens und Norwegens Geschichte verwachsen ist. Die dänischen Inseln haben herrliche Buchenwälder, Korn- und Kleegefilde; sie sehen aus wie Gärten in großem Styl. Auf einer dieser grünen Inseln, Fühnen, steht mein Geburtsort Odensee, nach dem heidnischen Gotte Odin benannt, der, wie die Sage berichtet, hier lebte. Dieser Ort ist die Hauptstadt der Provinz und liegt 22 Meilen von Kopenhagen. Im Jahre 1805 lebte hier in einem kleinen, ärmlichen Zimmer ein junges Ehepaar, welches sich unendlich liebte. Der Mann, ein Schuhmacher, war kaum 22 Jahr alt und ein sehr begabter Mensch, eine echt poetische Natur; die Frau war einige Jahre älter, unbekannt mit der Welt und dem Leben, mit einem Herzen voll Liebe. Der junge Mann hatte selbst seine Werkstätte und sein Ehebett zusammengezimmert und zu letzterem das Holzgestell verwendet, welches kurz zuvor den Sarg eines verstorbenen Grafen Trampe, als dieser auf dem Paradebette lag, getragen hatte; die schwarzen Tuchresten an den Bretern erinnerten noch daran. Anstatt der gräflichen Leiche, umgeben von Flor und Kandelabern, lag hier am 2. April 1805 ein lebendiges, weinendes Kind; das war ich, Hans Christian Andersen. Mein Vater soll die ersten Tage am Bette gesessen und laut im Holberg gelesen haben, während ich schrie. „Willst Du schlafen oder ruhig zuhören!“ soll er im Scherz gesagt haben; aber ich schrie fort, auch in der Kirche, als ich getauft wurde, sodaß der Prediger, der ein ärgerlicher Mann war, sagte: „Der Junge schreit ja wie eine Katze!“ welche Worte ihm meine Mutter nie vergessen konnte. Ein armer Emigrant, Gomar, der Gevatter stand, tröstete sie inzwischen damit, daß ich, je lauter ich als Kind schrie, desto hübscher singen würde, wenn ich älter geworden wäre. — Ein einziges kleines Zimmer, das mit den Schuhmachergeräthschaften, dem Bette und der Schlafbank, worin ich lag, fast angefüllt war, bildete meiner Kindheit Behausung; aber die Wände waren voller Bilder, und über der Werkstatt hing ein Gestell mit Büchern und Liedern; die kleine Küche stand voll glänzender Teller und Geschirre, und auf einer Leiter konnte man von hier aus nach dem Boden gelangen, wo in der Dachrinne, gegen das Nachbarhaus hin, ein großer Kasten mit Erde und Küchengewächsen, der ganze Garten meiner Mutter, stand; in einem Märchen: „Die Schneekönigin“, blüht er noch. — Ich war das einzige Kind und wurde in hohem Grade verzogen; aber von meiner Mutter mußte ich hören, daß ich bei weitem glücklicher sei, als sie gewesen, daß ich es ja wie ein Grafenkind habe. Sie sei als Kind von ihren Eltern hinausgejagt worden, um zu betteln, und als sie es nicht vermocht, habe sie einen ganzen Tag unter einer Brücke gesessen und geweint. In der alten Domenica im „Improvisator“ und in der Mutter des „Geigers“ habe ich ihre Persönlichkeit in zwei verschiedenen Auffassungen wiedergegeben. — Mein Vater ließ mir in Allem meinen Willen; ich besaß seine ganze Liebe; für mich lebte er. Des Sonntags machte er mir Perspective, Theater, Bilder, die sich verwandeln konnten, und las mir aus Holberg’s Komödien und Tausend und Einer Nacht vor. Nur in solchen Augenblicken, entsinne ich mich, ihn recht heiter gesehen zu haben, denn in seinem Leben und als Handwerker fühlte er sich nicht glücklich. Seine Eltern waren wohlhabende Landleute gewesen, wurden aber von vielen Unglücksfällen betroffen; das Vieh starb, der Hof brannte ab, und zuletzt verlor der Mann den Verstand. Da zog die Frau mit ihm nach Odensee und brachte den aufgeweckten Knaben in die Lehre zu einem Schuhmacher; es konnte nicht anders sein, ungeachtet es sein brennender Wunsch war, die lateinische Schule besuchen zu dürfen. Ein Paar wohlhabende Bürger hatten einst davon gesprochen, zusammenzuschießen, ihm freie Beköstigung zu geben und ihm auf diesem Wege fortzuhelfen; aber es blieb bei den Worten. Mein armer Vater sah seinen liebsten Wunsch nicht erfüllt; das schwand nie aus seiner Erinnerung.


Ich entsinne mich, daß ich als Kind einst Thränen in seinen Augen erblickte, als ein Schüler der lateinischen Schule bei uns war und neue Stiefeln bestellte, wobei er seine Bücher vorzeigte und von Allem, was er lernte, sprach. „Den Weg hätte ich auch gehen sollen,“ sagte er, und dann küßte er mich heftig und war den ganzen Abend still. — Selten kam er mit Seinesgleichen zusammen. Des Sonntags ging er in den Wald hinaus, und dann nahm er mich mit; er sprach nicht viel draußen, sondern saß still, in Gedanken versunken, wenn ich umhersprang und Erdbeeren auf einen Strohhalm reihte oder Kränze wand. Nur einmal im Jahre und zwar im Mai, wenn der Wald im ersten Grün prangte, ging meine Mutter mit; dann trug sie ein Kattun-Kleid, welches sie nur an diesem Tage und zum Abendmahl anzog, und welches die ganzen Jahre hindurch, deren ich mich erinnere, ihr Festkleid war. Sie nahm dann immer eine große Menge frischer Buchenzweige mit nach Hause, die hinter dem polirten Ofen aufgepflanzt wurden; St. Johannis-Kräuter wurden später in die Balkenrisse gesteckt, und aus ihrem Wuchse nahmen wir ab, ob wir lange oder kurze Zeit leben würden. Grünes und Bilder schmückten unser kleines Zimmer, welches meine Mutter rein und sauber hielt; sie suchte ihren Stolz darin, daß das Bettzeug und die Fenstervorhänge immer recht weiß waren. — Meines Vaters Mutter kam täglich, wenn auch nur auf wenige Augenblicke, in unsere Behausung, um ihren kleinen Enkel zu sehen; ich war ihre Freude und ihr Glück. Sie war eine stille, höchst liebenswürdige alte Frau, mit milden blauen Augen und von feiner Gestalt. Das Leben hatte sie schwer geprüft. Eines wohlhabenden Landmanns Frau, war sie nun in große Armuth versunken und wohnte mit dem geistesschwachen Mann in einem kleinen Hause, welches sie für den letzten geringen Rest ihres Vermögens erstanden hatte. Doch sah ich sie nie weinen; aber es machte einen desto tieferen Eindruck auf mich, wenn sie still seufzte und von der Mutter ihrer Mutter erzählte, daß diese eine reiche, adlige Dame in der deutschen Stadt Cassel gewesen, und daß sie dort einen „Komödiantenspieler“, wie sie sich ausdrückte, geheirathet habe und von Eltern und Heimath fortgelaufen sei; für das Alles müßten nun die Nachkommen büßen. Ich entsinne mich nicht, je den Familiennamen ihrer Großmutter von ihr nennen gehört zu haben; sie selbst war eine geborene Rommesen. Sie hatte beim Hospital einen Garten zu bestellen und brachte von dorther jeden Sonnabend Abend einige Blumen, die man ihr mit nach Hause zu nehmen erlaubte. Die Blumen schmückten die Commode meiner Mutter, waren aber mein, und ich erhielt die Erlaubniß, sie in das Wasserglas zu stellen; wie groß war diese Freude! Alles brachte sie mir; sie liebte mich von ganzer Seele; ich wußte es und ich verstand es. — Zwei Mal des Jahres verbrannte sie den Abfall aus dem Garten; dann war ich im Hospital bei ihr und lag auf dem großen Haufen Laub und Erbsen-Ranken; auch hatte ich viele Blumen zum Spielen und, worauf ich einen besondern Werth legte, besseres Essen, als ich daheim zu hoffen. Alle unschädlichen Irren gingen auf dem Hofe frei umher; sie kamen oft zu uns herein, und mit Neugierde und Schreck hörte ich ihnen zu und folgte ihnen; ja, ich wagte mich sogar mit den Wächtern zu den Tobsüchtigen hinein. Ein langer Gang führte durch ihre Zellen; einst war der Wächter fortgegangen und ich lag auf dem Fußboden und sah durch die Thürspalte; da saß ein nacktes Frauenzimmer auf einem Strohlager; ihre Haare hingen über die Schultem hinab und sie sang mit einer ganz lieblichen Stimme. Auf einmal sprang sie auf und stürzte gegen die Thür, wo ich lag; die kleine Klappe, durch welche ihr die Speisen gereicht wurden, ging auf, sie starrte auf mich herab und streckte ihren langen Arm nach mir aus; ich schrie vor Schreck — ich fühlte ihre Fingerspitzen meine Kleider berühren — ich war halb todt, als der Wächter kam. Selbst im späteren Alter ist dieser Anblick und dieser Eindruck nicht aus meiner Seele gewichen.

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