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Börne’s Leben – Carl Gutzkow

Dies Buch sollte zunächst die Einleitung zu einer neuen Ausgabe der in den deutschen Bundesstaaten erlaubten Schriften Börne’s sein. Das Unternehmen gerieth jedoch in’s Stocken und die Biographie Börne’s, schon im Herbst vorigen Jahres vollendet, wurde unter diesen Umständen in ihrem Erscheinen länger hingehalten, als die zunächst daran betheiligten Freunde Börne’s wünschen mußten. Ueber eine kurze Charakteristik, welche ich erst nur zu geben bezweckte, wuchs das sich anhäufende Material hinaus, von allen Seiten trug mir die Gunst des Zufalls Blätter und Zweige zu dem Ehrenkranze, den ich einem Todten winden wollte, heran, ich wurde Biograph des Verfassers der »Briefe aus Paris,« ohne es zu wollen. Wenn ich auf dem halben Wege, wo ich mich entschließen mußte, vor- oder rückwärts zu gehen, mich zum ersteren entschloß, so geschah es, weil ich unter den jetzt wirkenden Schriftstellern wohl einer der wenigen bin, die zu einer Entwickelung der Lebens- und Autorenmomente Börne’s einen gewissen Beruf haben. Wenn ich, auch jetzt noch schwankend, mich endlich wirklich entschloß, an das schwierige Werk zu gehen, so gab den letzten Ausschlag meine durch theure Familienbande erleichterte Kenntniß des Bodens, auf welchem Börne wuchs und reifte. So wie man Goethe’s Jugend und in ihrem ganzen Daseyn Bettina und Clemens Brentano nicht ohne Kenntniß der Frankfurter Lokalitäten innigst verstehen kann, so muß man auch für die richtige Auffassung Börne’s auf einem Terrain heimisch sein, das für Poesie und Verständniß des öffentlichen deutschen Lebens voll der eigenthümlichsten Anregungen ist. Ein mißlicher Umstand hätte mich freilich zurückhalten können: Ich habe Börne nicht gekannt. Manche seiner nähern Freunde, die mir mit Rath und That beistanden, haben dies oft bedauert. Indessen beruhigt es mich, daß ich seine nächsten Freunde, die mit ihm gelebt, doch oft auch darauf ertappte, daß sie mit ihm nicht auch empfunden hatten. Ihre Urtheile über den Verstorbenen widersprachen sich. Sie hielten mit verzeihlicher Täuschung allzusehr am Menschen fest und wußten für jede geistige Lebensfunktion des Freundes Gründe, die von den Andern wieder bestritten wurden. So konnt’ ich, wenigstens schien es mir so, vielleicht besser in die Wahrheit dringen, als wenn ich durch persönliche Bekanntschaft wäre mit in diesen Strudel von Widersprüchen gezogen gewesen. Das unmittelbare Leben ist selten ohne Verstimmungen. Wir sind nie in dem Grade frei von unserm eignen Interesse, daß wir bei persönlichen Collisionen stets den Blick ungetrübt und das Vorurtheil unbefangen erhielten. Von früh an hab’ ich die Neigung gehabt, mich in fremde Individualitäten hineinzuleben. Die besten Menschenkenner sind die, welche von den Tugenden und Schwächen der Andern Vortheile zu ziehen wünschen; die ihnen zunächst kommen, die, welche einen Fanatismus daraus machen, gegen Jedermann gerecht zu sein. Ich bin immer erschrocken, wenn ich irgend Einen unbedingt verurtheilen hörte; denn meine eigene Lebensentwickelung zeigte mir nur zu sehr, daß wir in unserm Gemüth von der ganzen Welt abweichen können, ohne deßhalb Ursache zu haben, uns weniger gut und gerecht zu erscheinen. Was ich mir selbst geschenkt wissen wollte, dies Vertrauen auf die individuelle Selbstgerechtigkeit des Menschen, hab’ ich andern nie entzogen, ja mit Leidenschaft mir darin gefallen, mich in die Denk- und Fühlweise Anderer hineinzuleben, Adern und Geflechte in fremden Seelen tief zu verfolgen und die Menschen von innen heraus zu beurtheilen. Was mich in der Poesie zum Dramatiker, mußte mich in der Prosa zum Biographen machen. Ich zweifle nicht, daß diesem Buche viel Berichtigungen und Erweiterungen bevorstehen. Erst wenn viele persönliche Freunde Börne’s lesen werden, wie sich in seinem Leben eine gewisse Ordnung nachweisen läßt, werden sie sich angeregt fühlen, diese Ordnung zu vervollkommnen. Es werden sich Anekdoten mancherlei Art an das nun vorerst einmal Gegebene ansetzen. Ich zweifle auch nicht, daß die Auffassung, die in diesem Buche herrscht, nicht allseitig genügen wird. Es war mir nicht möglich, mit den Lebensmomenten eines so merkwürdigen Mannes, wie Börne war, erst ein polizeiliches Verfahren anzustellen. Sollt’ ich zu Gericht sitzen und von einem abgekühlten Standpunkt herab in Börnes Leben sichten und scheiden, hier einräumen, dort verdammen und aus einer Charakteristik eine gerichtliche Anatomie machen? Es ging nicht.


So wenig die Meinungen Börne’s von seiner Zeit, der rücksichtslose Ton in dem er sie vortrug, von den Gährungen der Julirevolution zu trennen sind, so wenig mocht’ ich von der einfachen Erzählung seines Lebens das hingebende, enthusiastische Colorit entfernen, welches sein ganzes Leben ausströmte. Ein Biograph soll seinen Gegenstand mitdurchleben und in ihm mit so viel warmer Toleranz aufgehen, daß sogenannte »Rettungen,« wie sie der gute, menschenfreundliche Lessing von verkannten Geistern der Vorzeit schrieb, von vornherein niemals nothwendig werden. Freunde und Bekannte des Verstorbenen haben mich mit Bausteinen zu diesem Gedächtnißtempel unterstützt. Ihnen meinen Dank! Viele, die dem Verstorbenen nahe standen, fürchteten sich, ihrer Beziehungen zum »Römer« wegen, mit ihm zusammen genannt zu werden, oder hielten sich im Stillen für zu unbedeutend, die Aufmerksamkeit des deutschen Bundes zu erregen. Manchen ging es aber noch eigner. Sie hatten mit Börne gelebt und wußten nichts von ihm. Sie hatten mit ihm gegessen und getrunken und kein Wort, was er gesprochen, war ihnen im Gedächtniß geblieben. Es waren dies Männer, welche sich selbst auszeichneten. Feiner atomistischer Staub des Egoismus, der in menschlichen Seelen zerstreut ist! Sie leben mit Geräusch, jeder ihrer Tritte macht ein Echo, sie haben nie den Mund geschlossen, sie leben mit Händen und Füßen und was um sie vorgeht, für den Herzensschlag in der Brust eines Nebenmenschen haben sie kein Ohr. Einen Augenblick zu schweigen und den Andern reden zu hören, wär’ ihnen sonderbar. Nach zehn Jahren ist der Andre eine europäische Berühmtheit und sie müssen sich schämen, daß sie mit ihm lebten, ohne von ihm Eindrücke empfangen zu haben. Freilich kann hier eine Entschuldigung eintreten. Börne gab sich nicht, sondern er wollte genommen sein. Es fehlte ihm das Talent, mit sich selbst Komödie zu spielen, sich als der, der er war, auch in Scene zu setzen und sich jene Ruhe um ihn her zu erzwingen, die man braucht, um gehört zu werden. So haben viele seiner Freunde einen unbestimmten Erinnerungsdämmer von ihm, ein lachendes, wohlthuendes Flimmern des Gedächtnisses, darin aber nichts Bestimmtes, nichts, was besonders des Notirens ihnen denkwürdig erschienen wäre. Auch diese Erscheinung hab’ ich zur Charakteristik Börne’s zu verwenden gesucht und ich hoffe, die Folgerungen, die daraus in meinem Buche gezogen sind, wird man nur billigen können. Bücher, die ich benutzen konnte, hab’ ich an den betreffenden Stellen angezogen. Hauptquelle waren Börne’s eigne Schriften und die Blätter der Geschichte, wie sie seit der Scene im Ballhause von Versailles bis zum Jahre 1837, wo Börne starb, vor uns aufgeschlagen liegen. Wo ich Lücken in Börne’s Lebensmomenten fand, hab’ ich sie getrost durch die Geschichte ergänzt; denn man kann annehmen, daß sein innerer Mensch von Ebbe und Fluth in der Politik immer bedingt war. Sogar auf seinen Körper wirkten die Ereignisse, wie bei uns Andern nur die Einflüsse der Atmosphäre. Wenn er Gichtschmerzen hatte, konnte man annehmen, daß sich das politische Wetter ändern würde. Papierspekulanten hätten größere Stücke auf ihn halten sollen. Denn wenn ihm das Essen nicht schmeckte, stak sicher ein Congreß in der Luft. Das überlang verzögerte Erscheinen dieses Buches erlaubte, daß ich erst noch die Schrift lesen konnte: »Heinrich Heine über Ludwig Börne.« Sie ist vor einigen Tagen erschienen und scheint den Zweck zu haben, die in Deutschland herrschende versöhnte Stimmung über den vielverkannten, ungestümen, aber edlen Todten wieder zu zerstreuen, meiner Biographie desselben im Voraus jeden Glauben zu nehmen und um einen Namen, von dem allmählig der irdische Dunst des Vorurtheils sich zu verziehen anfing, wieder auf’s Neue einen Gestank von Persönlichkeiten zu verbreiten, der jede Beschäftigung mit ihm widerlich machen muß, sei’s auch zum Theil auf Kosten dessen, der diesen Unrath in die Oeffentlichkeit auf seinen Schultern hineinträgt! Wer die Schrift von Herrn Heine gelesen hat, und an Börne kein tieferes Interesse nimmt, wird sagen: Seht, da reiben sich die beiden undeutschen Menschen gegen einander auf, der Todte an dem Verwesenden, der Jakobiner am Narren, die Revolution an ihren eignen Excrementen! Diese Schrift des Herrn Heine ist eine große Unannehmlichkeit für Börne, ein Unglück für den, der sie schrieb, und fast ein Todesurtheil für die Sache, der beide gedient haben.

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