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Theorie und Technik des Romans – Friedrich Spielhagen

Als ich vor nun bereits achtzehn Jahren meine bis dahin zerstreuten kritischen und ästhetischen Versuche in dem ersten Bande meiner »Vermischten Schriften« gesammelt herausgab, glaubte ich den Leser wegen der »Buntheit des Inhalts« um Entschuldigung bitten und darauf aufmerksam machen zu müssen, daß die verschiedenen Stücke trotz ihrer heterogenen Themata und weit auseinander liegenden Entstehungszeiten doch alle, wie die Kinder des Pfarrers von Wakefield, eine Familienähnlichkeit hätten, durch welche sie ihre Heimkehr zum gemeinschaftlichen Vaterhause legitimieren könnten. In dem Bande, welchen ich hier dem Leser vorlege, trotzdem auch er wiederum bisher Zerstreutes sammelt, verhält sich die Sache wesentlich anders, so daß ich den alten Titel fallen lassen und einen neuen, präciseren wählen konnte, ja mußte. Denn nur die längeren Intervallen zwischen der Abfassung der einzelnen Piecen sind auch diesmal zu konstatieren; was aber den Inhalt anbetrifft, so ist er kein verschiedenartiger, aus diversen, einander nicht berührenden Stoffkreisen gemischter, sondern — mit zwei Ausnahmen, von denen sogleich die Rede sein soll — durchaus einheitlicher; und die einzige Differenz zwischen den einzelnen Aufsätzen besteht darin, daß sie demselben Thema von verschiedenen Seiten beizukommen suchen — Radien ein und desselben Kreises vergleichbar, die von der gemeinschaftlichen Peripherie nach dem gemeinschaftlichen Mittelpunkte streben. So läge mir denn wohl die Befürchtung näher, es möchte dem Leser diese aus der Identität des Grundthemas resultierende Aehnlichkeit der diversen Piecen als leidige Einförmigkeit erscheinen; er aus allem nichts heraushören als ein trotz seiner Variationen monotones: Ceterum censeo. Wenn er es doch nur möchte! und sich im übrigen zu der Meinung bekennte, die ich hier theoretisch zu begründen und von jeher mit Daransetzen meiner besten Kraft dichterisch-praktisch zu bethätigen versucht habe, — wie gern wollte ich den Vorwurf über mich ergehen lassen! wie willig einräumen, daß meine Darstellung systematischer, concinner und präciser hätte sein sollen! daß ich wiederholt dasselbe mit fast denselben Worten sage! und, alles in allem, übrigens richtig Erkanntes in einer wenig schmackhaften, ja geschmacklosen Form vorgetragen habe! — Zu den Ausnahmen, auf die ich oben hindeutete, rechne ich nicht die Nummern VI und VII (»Novelle oder Roman« und »Roman oder Novelle«). Sie schweifen freilich in ein Gebiet hinüber, das von dem diesmal behandelten ausgeschlossen bleiben und einer besonderen, demnächst vorzunehmenden Arbeit vorbehalten bleiben sollte; indessen, die Grenze war beim besten Willen nicht immer streng inne zu halten, und mochte gerade, indem man sie gelegentlich überschritt, desto schärfer hervortreten. Das Gefühl größerer Freiheit jenseits der selbstgezogenen Schranken mag denn auch den wärmeren Ton entschuldigen, mit welchem hier die herzliche Freude an den Aeußerungen eines höchst anmutigen Talentes die sonstige kritisch-kühle Reserve des Vortrags unterbricht. Wohl aber muß ich als eine wenigstens partielle Ausnahme Nr. VIII (Drama oder Roman. Gelegentlich H. Ibsens Nora) bezeichnen, und als eine vollständige die im »Anhang« mitgeteilte Gedächtnisrede auf Auerbach. Was die erstere Piece betrifft, so war dieselbe in der That nicht, wie alle die anderen, von vornherein dazu geschrieben und bestimmt, dermaleinst einen integrierenden Teil dieses Buches zu bilden. Indem sich nun aber bei der Besprechung des Stückes, auf die es ursprünglich abgesehen war, für mich mit vollster Evidenz herausstellte, daß hier wieder einmal — und zwar in besonders frappanter Klarheit — einer jener unzähligen Fälle vorliege, wo ein scheinbar energisches Drama nichts ist als ein in das dramatische (eigentlich theatralische) Prokrustesbett gezwängter Roman und deshalb notwendig in seiner Wirkung scheitert, entstand ein Aufsatz, dessen einer Teil ganz entschieden in den Kreis dieser unsrer Betrachtungen gehört. Um dieses Teiles willen glaubte ich auch den andern, der allerdings ganz in die Nachbarsphäre fällt, mit aufnehmen zu dürfen. Nicht so einfach ist zu erklären, weshalb ich die Rede auf Auerbach dem vorliegenden Bande einverleibt habe; der Leser möge mir deshalb freundlich verstatten, zu diesem Zwecke etwas weiter ausholen zu dürfen. Zunächst kann ich ihn versichern: eine rein äußerliche Zusammenfügung ist es nicht. Wenn ich nicht immer der Meinung gewesen wäre, daß jenes erhabene Wort, welches dem, der beten will, sein Kämmerlein aufzusuchen befiehlt, dem öffentlichen Ausdruck jedes intimen Verhältnisses eine strenge Schranke zieht, — ich würde dies Buch den Manen des großen Mannes geweiht haben: es gehört ihm in mehr als einem Sinne. Wir hatten uns in der wachsenden Intimität unsrer Freundschaft zuletzt daran gewöhnt, uns unsre litterarischen Arbeiten bereits im ersten Entwurfe einander mitzuteilen, einer den anderen im Fortgang der Ausarbeitung auf dem Laufenden zu erhalten. Daß es bei diesem kollegialischen Austausch an jenen tiefernsten Gesprächen nicht gefehlt haben wird, in denen befreundete Künstler in das Herz der Geheimnisse ihrer gemeinschaftlichen Kunst zu dringen suchen, mag jeder leicht ermessen, der sich in einer ähnlichen glücklichen Lage befunden hat. Da dürfte in diesen Aufsätzen kein Thema, ja, was sage ich, kein wichtigerer Satz sein, der nicht von uns gemeinsam — und das meistens nicht einmal, sondern wieder und wieder — von den verschiedenen Gesichtspunkten behandelt wäre, die jedem von uns die notwendigen, weil seiner Individualität bequemsten und natürlichsten schienen. Aber von wie verschiedenen Punkten wir auch ausgingen, auf wie verschiedenen Wegen wir uns auch dem Ziele zu nähern suchten — am Ziele selbst trafen wir jedesmal zusammen; ich erinnere mich nicht, daß wir über einen wichtigen Satz der Theorie unsrer Kunst jemals zweierlei Meinung gewesen wären. So teilte er völlig meine Ansichten über die ästhetische Unzulänglichkeit, aber auch den Wert und die Würde des modernen Romans; ebenso wie ihm der historische Roman tiefer rangierte und zwar aus denselben Gründen, welche ich im Text dieses Buches an verschiedenen Stellen zu entwickeln versucht habe. Ja, auch hinsichtlich der Technik, d. h. der Regeln, nach welchen man bei Ausübung unsrer Kunst zu verfahren habe, herrschte — vorzüglich was den Kardinal- und Angelpunkt der Notwendigkeit der objektiven Darstellung betrifft — die größte Einmütigkeit, die dadurch nicht im mindesten getrübt wurde, daß ich in der Praxis rigoros an den ein für allemal festgestellten Normen festzuhalten strebte, während er sich wohl einmal eine laxere Observanz derselben behaglich verstattete.


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