Es ist verwunderlich, daß über das Leben eines Mannes, der durch seine Werke einen so bedeutenden Einfluß auf seine Zeitgenossen gewann und der, wie wir aus seinen Schriften schließen können, seinem Wesen und Charakter nach selbst kein unbedeutender Mann sein kann, so wenig bekannt ist. So viel steht fest, daß seine moralphilosophischen Schriften, und diese haben wir hier zunächst ins Auge zu fassen, aus einem warmen, überzeugungstreuen Herzen hervorgegangen und von einem reichen, edlen Geiste durchleuchtet sind. Samuel Smiles, 1816 zu Haddington in Schottland geboren, war von Hause aus Wundarzt, als welcher er längere Zeit in Leeds thätig war. Dann übernahm er die Redaktion der »Leeds Times,« scheint diese Stelle aber nur kurze Zeit innegehabt zu haben, denn wir finden ihn bald darauf als Sekretär bei verschiedenen Eisenbahngesellschaften, zuletzt bei der South-Eastern-Railway in London. Schon in diese Zeit fällt der Beginn seiner Thätigkeit als Schriftsteller, denn seine »PhysikalEducation, oder die Natur der Kinder« erschien 1837; Smiles schrieb dieses Buch, dessen Titel auf seinen ärztlichen Beruf hinzudeuten scheint, also im Alter von 21 Jahren, und dieser Umstand in Verbindung mit den kurzen Andeutungen, die mir zu geben imstande waren, will es uns wahrscheinlich machen, daß auch Smiles zu denen zählt, denen der Kampf ums Leben nicht leicht wurde und der sich mühsam durchringen mußte. Einer gewaltigen Überanstrengung auch wird es zuzuschreiben sein, daß er krank wurde und fünf Jahre gelähmt war. Aber wunderbar! er gewann seine volle Gesundheit wieder, und nun erst scheint seine eigentliche schriftstellerische Thätigkeit begonnen zu haben, denn seine »Selbsthilfe« war die erste einer Reihe moralphilosophischer Schriften, die, man darf es wohl sagen, seinen Namen in ganz Europa bekannt gemacht haben. Für »Selbsthilfe« konnte er keinen Verleger finden und mußte sich entschließen, das Buch auf eigene Kosten drucken zu lassen. Das Schicksal der Bücher, welche ein Verfasser auf eigene Kosten drucken läßt, ist, seltene Ausnahmen abgerechnet, sehr bald erzählt: sie werden gedruckt und sind dann vergessen. Mit der Smilesschen »Selbsthilfe« aber war es anders und nie vielleicht haben sich die Wahrheiten, die ein Buch enthält und in einem Titel-Schlagwort zum Ausdruck bringt, in einer Weise an ihm selbst bethätigt wie dieses. Die Mittel und Wege, welche der Verfasser ergreifen und einschlagen mußte, um seinem Buche Eingang zu verschaffen, wollen wir hier unberührt lassen, daß es aber anfangs nur in vereinzelten Exemplaren Absatz fand, wird schwerlich von jemand bezweifelt werden; aber Buch und Verfasser bahnten sich ihren Weg, der Absatz steigerte sich und – – bis Weihnachten 1886 waren davon 160,000 Exemplare verbreitet und Übersetzungen in folgenden Sprachen vorhanden: deutsch, französisch, dänisch, norwegisch, schwedisch, spanisch, russisch, türkisch, böhmisch, japanisch und in zwei indischen Dialekten. In Zwischenräumen folgten nun Charakter, – Pflicht, – das Leben der Ingenieure, 5 Bände, – die Hugenotten, – Industrielle Biographie, – Leben und Arbeit, – das Leben von Thomas Edward, – das Leben von Robert Dick – Männer der Erfindung.– Welche Aufgabe sich nun aber auch der Verfasser gestellt hatte, wer immer der Held eines seiner Bücher sein mochte, die Tendenz derselben ist immer die gleiche: zu zeigen, was Willensstärke und Ausdauer vermögen (eine Bestätigung von Goethes Wort: des Menschen Wille ist sein Himmelreich), zu warnen vor Schwäche, Feigheit und Kleinmütigkeit. Er macht uns in allen seinen Büchern, mögen es Menschen oder Dinge sein, die er in ihnen behandelt, mit wahrhaft großen und edlen Naturen bekannt, die sich siegreich in allen Stürmen behaupteten und ihren inneren Menschen dabei unbefleckt und rein bewahrt haben, die an Hamerlings schönes Wort erinnern: »Wer thut, was er soll, ist groß wie die Größten.« Überall tritt uns klar und unzweideutig der Grundsatz entgegen: »Der Mensch ist seines Schicksals Schmied.« Was im allgemeinen »Glück« genannt wird, giebt es bei Smiles nicht. Wer vom Glück anderer und von eigenem Mißerfolg redet, ist ein schwacher Mensch. Die großen Erfolge im Leben werden durch einfache Mittel und durch Übung gewöhnlicher Eigenschaften erreicht. Gerade im Alltagsleben werden die Erfahrungen bester Art gesammelt, und nur die breitgetretenen Pfade bieten dem Manne von Kopf und Herz den weitesten Spielraum, in vernünftigem Streben sich Raum zu erkämpfen. Es ist unmöglich, eine Charakteristik Smiles‘ und seiner Werke in wenig Worten zusammenzufassen, er zählt zu jenen seltenen Menschen, welche das Ganze unserer sittlichen Aufgaben erfassen und als Lehrer für Tugend und alles Schöne und Edle zu begeistern vermögen. Vorwort zur ersten Ausgabe Die Entstehung dieses Buches soll hier in der Kürze erzählt werden. Vor etwa fünfzehn Jahren wurde der Autor aufgefordert, eine Vorlesung zu halten – und zwar für die Mitglieder einer »Abendschule,« die in einer der nördlichen Städte zum Zweck gegenseitiger wissenschaftlicher Förderung unter folgenden Umständen gegründet worden war: Zwei oder drei junge Leute aus den untersten Ständen faßten den Entschluß, an den Winterabenden zusammenzukommen, um sich durch Austausch ihrer Kenntnisse und Ansichten gegenseitig zu bilden. Ihre ersten Zusammenkünfte hielten sie in der Wohnstube eines Häuschens, in welchem eins der Mitglieder sein Heim hatte; da sich ihre Zahl aber bald vergrößerte, wurde der Raum zu enge. Als es Sommer geworden war, verfügten sich die jungen Leute in den Garten des Häuschens und hielten dort ihre Schule unter freiem Himmel vor einer kleinen Bretterbude, die als Gartenhaus diente, und in welcher die als Lehrer Fungierenden die Arbeiten prüften und die Aufgaben erteilten. Bei schönem Wetter drängten sich die Jünglinge bis zu später Stunde gleich einem Bienenschwarm um die Thür der Bude; aber oft genug kam es vor, daß ein plötzlich eintretender Regen ihnen die Zahlen von den Schiefertafeln löschte und sie zu ihrem Leidwesen auseinandertrieb.
Nun kam der Winter mit seinen kalten Abenden heran, und wo sollten sie Obdach finden? Ihre Zahl hatte sich unterdessen so vermehrt, daß die Stube einer gewöhnlichen Arbeiterbehausung nicht mehr ausreichte. Obgleich fast alle diese jungen Leute nur einen verhältnismäßig geringen Wochenlohn verdienten, so entschlossen sie sich doch zu dem Wagnis, ein Lokal zu mieten. Nach einigem Suchen fanden sie ein großes, dumpfiges Gelaß, das einst interimistisch als Cholerahospital gedient hatte, und für das sich bisher kein Mieter hatte finden wollen, da man sich noch immer vor Ansteckung fürchtete. Aber die unerschrockenen, wissensdurstigen Jünglinge mieteten das Cholerahospital, sorgten für Beleuchtung, stellten ein paar Bänke und einen Tisch von Tannenholz hinein und eröffneten ihre Winterschule. Das Zimmer war nun bald an den Abenden ein Bild geschäftiger und fröhlicher Thätigkeit. Der Unterricht war ohne Zweifel sehr primitiver und unvollkommener Art, aber er wurde mit Energie betrieben. Diejenigen, welche wenig wußten, unterrichteten andere, deren Kenntnisse noch geringer waren; auf solche Weise lernten sie, indem sie lehrten, und gaben ihren Schülern auf alle Fälle ein nachahmenswertes Beispiel des Fleißes. So übten sich diese Jünglinge – unter denen sich übrigens auch einige erwachsene Männer befanden – im Lesen, Schreiben, Rechnen und in der Geographie; ja, sie trieben sogar Mathematik, Chemie und neuere Sprachen. Als die Zahl der jungen Leute fast bis auf 100 gestiegen war, bemächtigte sich ihrer der ehrgeizige Wunsch, Vorträge zu hören; und gerade um diese Zeit wurde der Autor mit ihren Bestrebungen bekannt. Einige von ihnen machten ihm nämlich ihre Aufwartung; und nachdem sie eine bescheidene Darstellung ihrer Bemühungen gegeben, baten sie den Autor, er möchte ihnen doch einen ersten Vortrag halten oder – wie sie sich ausdrückten – »ihnen etwas erzählen.« Der bewunderungswürdige Geist der Selbsthilfe, den diese Jünglinge bewährt, rührte den Verfasser dieses Buches; und obwohl er keinen besonders großen Glauben an die Wirkung populärer Vorträge hatte, so meinte er doch, ein paar ehrliche und herzliche Worte der Aufmunterung könnten hier eine gute Wirkung haben. In diesem Sinne hat er jenen jungen Leuten mehr als einen Vortrag gehalten. Er hat es sich dabei angelegen sein lassen, Beispiele aus dem Leben anderer Menschen anzuführen, um daran zu zeigen, was jeder in höherem oder geringerem Grade seinerseits zu leisten vermöchte; er hat sich auch bemüht, seinen Hörern zu beweisen, daß naturgemäß ihr individuelles Glück und Wohlergehen im späteren Leben hauptsächlich von ihnen selbst abhängen würde – von ihrer fleißigen Selbstvervollkommnung, Selbstzucht und Selbstbeherrschung – vor allem aber von jener ehrlichen und gewissenhaften Erfüllung der individuellen Pflicht, die den Ruhm des männlichen Charakters darstellt.
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