Sie sehen, daß wir unser liebes Selters endlich verlassen haben, um allmählich immer südlicher zu gehn Aber schwerlich werden Sie errathen, wer uns gleich am Thore entgegen gekommen ist. — Nun? — Niemand anders, als unser L—; und das nach einer vierjährigen Reise durch ganz Europa. Er hat sich, wie er sagt, den Spaß gemacht, von Archangel bis Neapel, und von Wien bis Lissabon zu spazieren, blos um — auszumitteln — ob die Mädchen denn auch wirklich überall — Mädchen sind. Wir stiegen in dem berühmten Weidenbusche ab, wo bereits wenigstens an vierhundert Fremde einlogirt sind. So ein großes Gasthaus ist belebter als manche kleine Stadt; mit den Ab- und Zugehenden, befinden sich jeden Augenblick 6-700 Menschen darin. So zählte ich an der Mittagstafel fast 500 Personen, während gewiß noch Platz für 200 war. Noch besuchter ist der Abendtisch. Es speisen dann, von 7 Uhr bis Mitternachts regelmäßig 12-1400 Personen daselbst. Der Eigenthümer des Weidenbusches ist ein Herr Mohr, ein äußerst verständiger und thätiger Mann. Er hört ein wenig schwer, das heißt: gar nicht; aber er commandirt seine Leute so trefflich, daß alles am Schnürchen geht. Schon die gewöhnliche Dienerschaft ist siebenzig Köpfe stark; in den Messen braucht es wohl zweimal soviel. Die Messen sind aber auch, für alle diese großen Häuser, die wahre, eigentliche Erntezeit. Blos die Zimmer, z. B. im Weidenbusch, werfen dann täglich fünfhundert Gulden ab. Dazu die Wirthstafel, zu einer halben Crone die Person, oder am Abendtische 20 Kr. die Portion, der gewöhnliche MeßNormalpreiß. Die Portionen sind aber so klein, daß man, bey einem mäßigen Appetite, drey bis vier zu sich nehmen kann. So ich gestern Abends selbst. Es waren drey Himmelscarbonaden, mit sechs bis acht gebratenen Kartoffeln, und ich zahlte meinen Gulden dafür. Nun bedenken Sie, wie viel noch überdem an den Weinen gewonnen wird! Auf diese Art ist Herr Mohr beinahe ein Millionär geworden, bey dem Alles ins Große geht. So ist es aber auch erklärlich, warum ein hiesiges großes Gasthaus 8 -9000 Gulden jährlich Pacht zahlen, und dennoch seinen Mann reich machen kann. Dies ist z. B. mit dem Schwane der Fall, der dem Weidenbusche gerade gegenüber liegt.
Sie errathen, was das für Eifersucht giebt; dennoch besteht auch Herr — vortrefflich bey seinem Geschäft. Uebrigens gilt Frankfurt a. M. für eine der hohen Schulen der sogenannten Kellnerei. Einer meiner Vorreisenden — was für ein herrliches, neues Wort? — Also einer meiner Vorreisenden hat gesagt, daß das Clima von Frankfurt, für den Weinbau im Großen, nicht arm genug sey. Aber wie es denn geht — man irrt sich; man hat sich geirrt; man kann sich irren, und man wird sich irren, und wenn man sich noch so sehr zusammen nimmt. Alle Kinder hier wissen, daß an den beiden Mainufern, oberhalb der Stadt, Wein in Menge gewonnen wird. Dies geschieht auf zwey Anhöhen, die unter den Namen der Röder- und der Mühlberg bekannt sind. In guten Herbsten gewinnt man von beiden zusammen an 200 Stückfaß. Der Mühlberger hat den Vorzug, weil er weniger erhitzend ist; ja die ganz alten, vorzüglichen Jahrgänge werden den besten Rheinweinen gleich geschätzt. Mm erzählt, daß einst ein acht und vierziger Mühlberger, vor einem gleichen ausgesuchten Hochheimer, in St. Petersburg den Vorzug erhielt. Wenn aber mein Bruder Vorreisender von den hiesigen häßlichen, kalten Nordostwinden spricht, so hat er vollkommen Recht. Diese sind die wahre Geißel von Frankfurt a. M., besonders im Frühjahr, indem das Thal auf dieser Seite völlig offen ist. [Der Nordost wird hier der Hessenwind genannt, weil er von dieser Seite kommt.] Eben so dringen die Ost- und Westwinde, vorzüglich der Westsüdwest, mit Voller Wirkung ein. Gegen den Nord- und Nordwest hingegen ist die Stadt durch den Taunus, und gegen die Südstürme durch die Anhöhen, hinter Sachsenhausen, geschützt. Die lieblichste Jahrszeit, außer dem Sommer, ist der Herbst, mit Recht hier der Nachsommer genannt. Zweiter Brief. Inhalt. Theures Leben in Frankfurt — Miethen und andere Preise — Maaßstab — Küche — Anekdote — Bauten — Speculationen — Neuste Anlagen — Einzelne Bemerkungen. Frankfurt a. M.
, Sept. Vor dreißig Jahren galt Frankfurt für eine der wohlfeilsten Städte von Deutschland; jetzt ist es gerade umgekehrt. Man lebt hier, wenigstens fünfmal theurer, als in einer gewöhnlichen Mittelstadt. Eine kleine Wohnung, z. B. wie sie eine kinderlose Haushaltung von zwey bis drey Personen braucht, zahlt jährlich dreihundert Gulden Miethe, ohne eben vorzüglich zu seyn. Eine größere, für eine Familie, 5-600 Fl. und so im Verhältniß weiter fort. Es ist daher nicht zu verwundern, wenn mancher Gesandte zwischen 5-6000 zahlen muß. Mit diesen Preisen stehn nun alle übrige, mehr oder weniger, im Verhältnis. So kostet z. B. die gewöhnliche Klafter hartes Holz (1½ Gilbert) achtzehn Gulden, während das Maaß trinkbarer Wein nicht unter 48 Kr. zu haben ist. Ein einzelner Mann, der in Fankfurt jährlich zwölfhundert Gulden hat, reicht eben zur Nothdurft damit aus; versteht sich, wenn er recht haushälterisch ist. Mit zweitausend mag er schon anständiger leben, doch muß er noch immer sparsam seyn. Mit dreitausend endlich kann er anfangen, sich dann und wann ein wenig sehen zu lassen; doch ist es im Ganzen noch gar nicht zu viel. Nur von fünftausend an wird man erst für wohlhabend gehalten; aber nur mit zehntausend wird man unter die Reichen gezählt. Für Geld ist übrigens in Frankfurt Alles zu haben, was nur die feinste Sinnlichkeit verlangen kann. Um nur von dem Materiellsten zu reden, so glaube ich nicht, daß, Wien und Hamburg ausgenommen, irgendwo besser gegessen wird. Es scheint mir sogar, als hätte sich die Frankfurter Küche das Vorzüglichste jener beiden anzueignen, und noch mit den Feinheiten der französischen zu vermehren gewußt. Den Beweis davon findet man an den Tafeln der H. H. v. Bethmann, v.
Leonhardi u.s.w. Es herrscht an denselben ein so geschmackvoller, ich möchte sagen, ein so attischer Luxus, daß wirklich nichts zu wünschen übrig bleibt. Nichts, mein Herr? — sagte ein junger, russischer Offizier, ein wahrer Natursohn — Nichts zu wünschen übrig; meinen Sie? O doch! O doch! — Was denn? — Ein Paar Reservemagen für die Fastenzeit! — Um das Naive dieser Antwort ganz zu fühlen, muß man wissen, daß eben die russische Fasten vor der Thür war. Es wird in Frankfurt ungemein viel gebaut; diese Spekulationen sollen sehr einträglich seyn. Die Capitalisten legen dabey ihr Geld auf 6-8 Procent und völlig sicher an. Mehrere beziehen dann, diese Interessen in Natura; d. h. sie sind Miethsleute auf eine lange Reihe Jahre, ja auf Lebenszeit. In diesem Falle richten sie sich ihren Stock u.s.w. nach Belieben ein. So werden eine Menge Häuser mit fremdem Gelde gebaut; zumal da solche Hypotheken keine Schande sind. Mancher wird durch dergleichen Unternehmungen zum reichen Mann; besonders wenn er mit Glück zu verkaufen versteht. Unter den Bauleuten werden immer eine Menge Tyroler gezählt. Die schönsten neuen Gebäude sind die am Maine, und zwar ober- und unterhalb der Brücke, wo man dieselbe am besten übersehen kann. Der Rhonekai zu Lyon ist nichts dagegen, versteht sich, daß die Aussicht abgerechnet wird. Es scheint, daß diese Linie noch weitergezogen werden soll; wie denn überhaupt ein guter Entwurf den andern treibt. Eine sehr angenehme Parthie von Frankfurt ist auch die von dem ehemaligen Gallusthor. Immer wird noch, auf dem benachbarten Walle, fortgebaut. Selbst der alte, innere, ächt reichsstädtische Kern des Ganzen gewinnt allmählich ein immer freundlicheres Ansehn. Die Häuser werden angestrichen, die Thüren höher, die Fenster und Läden zierlicher gemacht. Die alten und neuen Formen vereinigen sich; die alte Zeit geht in die neue über; so in der Bauart, wie in der moralischen Welt.
Sehr bemerkenswerth sind auch die neuen Zoll- und Wachthäuser in Frankfurt. Sie gleichen antiken Tempeln, und wurden nach den Entwürfen griechischer und italiänischer Meister erbaut. Die am Bockenheimer-Thore sind vorzüglich schön. Zum Vorbilde dienten die beiden Tempel der Victoria an den Propyläen zu Athen. Am Obermainthore waren es die Hallen des Campus militum zu Pompeji u.s.w. Unter den übrigen topographischen Angaben fielen mir folgende auf. — Die größeste Länge der Stadt 2120 gemeine Schritt (zu 2½ Schuh); die größeste Breite kaum 1440 Schritt. — 115 Brunnen; 16 Kirchen und Bethäuser, worunter 3 catholische; 1 Synagoge; 85 Gasthöfe, worunter die vielen sogenannten Fußherbergen [Blos für Fußreisende bestimmt.] noch, nicht mitbegriffen sind. Endlich nicht weniger als fünf Beerdigungsplätze, wovon jeder Cultus den seinigen hat. Dritter Brief. Inhalt. Frankfurt — Neue Spaziergänge — Das Blumenthal — Gemüthlicher Zug — Die Lustgärten und Landhäuser — Die Flora derselben — Prunkende Giftpflanzen — Gemarkung und Anbau — Gelehrte Frankfurter im Auslande. Frankfurt a. M., Sept. Sehr reizend sind die neuen Spaziergänge um die Stadt. Sie nehmen die Stelle der ehemaligen Festungswerke ein, und sind mit vielem Geschmacke angelegt. Man kann das Ganze als eine Art Parc betrachten, der sich rings um die Stadt von einem Mainufer zum andern hinzieht Die Parthien sind äußerst mannichfaltig; eine der schönsten und zugleich dir besuchtesten ist die vom Eschenheimerbis zum Bockenheimer-Thor. Sie zeichnet sich besonders durch ein liebliches Blumenthal aus, das sich in einer kleinen Vertiefung sehr malerisch hinzieht. Astern und Levkoien, Malven, Nachtviolen u.s.w.
wechseln mit dichten Gebüschen von Berberis und Ricinus, von Jasmin und Rosen ab. Am Ende der reichen, blühenden Ebene zeigt sich der Bergkranz des Taunus, von klarem Gewölke umringt. Am schönsten erscheint,er bey Sonnenuntergange, wo er in voller Beleuchtung liegt. Auch der nun folgende Weg, nach dem Gallusthore, bietet herrliche Aussichten dar.
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