Seit altersher hat der Mensch in der Tatsache, an die Erde gebunden zu sein, in der Unfähigkeit, sich von den geheimnisvollen Fesseln der Schwere befreien zu können, einen Ausdruck seiner irdischen Schwäche und Unzulänglichkeit erblickt. Nicht umsonst wurde daher der Begriff des Übersinnlichen stets verbunden mit dem Gedanken der Schwerelosigkeit, der Macht „sich frei in den Himmel erheben zu können”. Und auch heute noch gilt es für die meisten Menschen sozusagen als Dogma, daß es für irdische Wesen wohl undenkbar sei, die Erde jemals verlassen zu können. Ist diese Ansicht auch wirklich berechtigt? Erinnern wir uns nur: noch vor wenigen Jahrzehnten war der ebenfalls wie unauslöschlich eingeprägte Glaube verbreitet, es sei Vermessenheit zu hoffen, daß wir jemals den Vögeln gleich die Luft durcheilen könnten. Und heute! Sollte die Menschheit angesichts dieses und ähnlicher glänzender Beweise der Leistungsfähigkeit von Wissenschaft und Technik, sich nicht erkühnen dürfen, nun auch an das letzte Verkehrsproblem heranzugehen, das uns die Lösung noch schuldig geblieben ist: an das Problem der Weltraumfahrt? Und folgerichtig: aus dem „technischen Traum”, der bisher nur Stoff für phantasievolle Romane abgab, ist in den letzten Jahren eine „technische Frage” geworden, die in nüchternen Arbeiten von Gelehrten und Ingenieuren mit allem Rüstzeug mathematischen, physikalischen und technischen Wissens untersucht und — als lösbar befunden wird. Die Macht der Schwere. Das ausschlaggebendste Hindernis, das der Weltraumbefahrung im Wege steht, ist die Anziehungskraft der Erde, die wir als Schwere jederzeit empfinden. Denn ein Fahrzeug, welches den Weltraum befahren soll, muß nicht nur sich fortbewegen können. Es muß vor allem und zuerst sich von der Erde entfernen, d.h. es muß sich selbst und seine Nutzlast entgegen der Schwerkraft viele Tausende, ja Hunderttausende von Kilometern hoch emporheben können! Da die Schwerkraft eine Massenkraft ist, müssen wir uns vorerst auch über die anderen in der Natur noch vorkommenden Massenkräfte Klarheit verschaffen und uns ferner mit den Ursachen dieser Kräfte, nämlich den beiden mechanischen Grundeigenschaften der Masse kurz befassen; denn auf diesen Fragen fußt das ganze Raumfahrtproblem. Die eine dieser Eigenschaften besteht darin, daß alle Massen sich gegenseitig anziehen (Gravitationsgesetz). Die Folge dieser Erscheinung ist, daß jede Masse auf jede andere Masse eine sogenannte „Massenanziehungskraft” ausübt. Die Anziehungskraft, welche die Himmelskörper vermöge ihrer gesamten Masse auf andere Massen ausüben, wird Schwerkraft genannt. Die von der Erde ausgeübte „Erdschwerkraft” ist die Ursache, daß alle auf der Erde befindlichen Körper eben „schwer” sind, also mehr oder weniger „Gewicht” haben, je nach dem, ob sie selbst eine größere oder kleinere Masse besitzen. Denn die Massenanziehungskraft (Schwerkraft) ist umso bedeutender, je größer die Masse der Körper ist, zwischen welchen sie wirkt. Hingegen aber nimmt ihre Stärke ab mit zunehmender Entfernung (und zwar mit dem Quadrate der letzteren), doch ohne daß ihr Wirkungsbereich eine ausgesprochene Grenze hätte (Abb. 1). Sie wird also theoretisch erst in unendlicher Entfernung zu Null. Ebenso wie die Erde übt natürlich auch die Sonne, der Mond und überhaupt jeder Himmelskörper eine seiner Größe entsprechende Schwerkraft aus. Abb. 1. Der Verlauf der Massenanziehungskraft (Schwerkraft) der Erde. Die mit zunehmender Entfernung quadratisch abnehmende Stärke der Anziehung ist durch den Abstand der Schwerkraftkurve von der wagerechten Achse dargestellt. Die zweite grundlegende Eigenschaft der Masse besteht darin, daß jede Masse stets bestrebt ist, in dem Bewegungszustand, in welchem sie sich eben befindet, auch weiter zu verharren (Trägheitsgesetz).
Demzufolge wird jede Masse, deren Bewegung man beschleunigen, verzögern oder der Richtung nach ändern will, diesem Bestreben Widerstand entgegensetzen, indem sie durch Entwicklung entgegenwirkender, sogenannter „Massenträgheitskräfte” antwortet (Abb. 2). Abb. 2. Man bezeichnet dieselben im allgemeinen als Trägheitswiderstand, oder in besonderem Falle auch als Fliehkraft. Letzteres dann, wenn sie dadurch entstehen, daß eine Masse gezwungen wird, sich in gekrümmter Bahn zu bewegen. Die Fliehkraft ist bekanntlich stets von der Bewegungskurve senkrecht nach auswärts gerichtet (Abb. 3). Alle diese Kräfte: die Schwerkraft, der Trägheitswiderstand und die Fliehkraft sind Massenkräfte. Wie früher erwähnt, erstreckt sich die Wirkung der Erdschwerkraft, immer schwächer werdend, bis in unendliche Entfernung. Wir können demnach den Anziehungsbereich (das Schwerefeld) der Erde niemals völlig verlassen, nie die wirkliche Schweregrenze der Erde erreichen. Wohl aber läßt sich errechnen, welche Arbeitsleistung theoretisch notwendig wäre, um das ganze Schwerefeld der Erde zu überwinden. Es müßte hierzu eine Energie von nicht weniger als 6 380 Metertonnen 1 für jedes Kilogramm der Last aufgewendet werden. Weiterhin läßt sich ermitteln, mit welcher Geschwindigkeit ein Körper von der Erde fortgeschleudert werden müßte, damit er nicht mehr zu ihr zurückkehre. Sie beträgt 11180 Meter je Sekunde. Es ist dies dieselbe Geschwindigkeit, mit welcher ein Körper auf der Oberfläche der Erde auftreffen würde, wenn er aus unendlicher Entfernung frei auf sie zufiele. Um der Masse eines Kilogrammes diese Geschwindigkeit zu erteilen, ist eben dieselbe Arbeit von 6 380 Metertonnen erforderlich, die zur Überwindung des ganzen Erdschwerefeldes je Kilogramm der Last laut Früherem aufgewendet werden müßte. 3. Abb. Doch wenn auch der Anziehungsbereich der Erde nie tatsächlich verlassen werden könnte, so gäbe es trotzdem Möglichkeiten, einen Körper der Schwerewirkung der Erde zu entziehen, und zwar dadurch, daß man ihn auch der Einwirkung anderer Massenkräfte unterwirft, welche der Erdschwerkraft entgegenwirken. Als solche kommen, gemäß unseren früheren Betrachtungen über die Grundeigenschaften der Masse, nur in Frage: entweder die Massenanziehungskräfte benachbarter Gestirne oder in dem betreffenden Körper selbst erweckte Massenträgheitskräfte. 1 Anmerkung des Bearbeiters: Die Metertonne (Abkürzung mt) ist eine nicht SI-konforme Einheit, die je nach Kontext unterschiedliche physikalische Größen bezeichnen kann. Als Einheit der Energie bezeichnet sie die Energiemenge, die notwendig ist, um einen Körper mit einer Masse von einer Tonne einen Meter hoch zu heben. Sie ist ebenso veraltet wie etwa das Kilopondmeter und durch das Joule ersetzt worden. 1 mt entspricht 9,81 kJ.
Quelle: Wikipedia Die praktische Schweregrenze der Erde. Wir wollen uns zuvor mit der erstgenannten Möglichkeit befassen. Da ebenso wie die Erde auch jeder andere Himmelskörper ein Schwerefeld besitzt, das sich, an Stärke immer mehr abnehmend, bis in unendliche Entfernung erstreckt, so stehen wir — wenigstens theoretisch — eigentlich stets unter der gleichzeitigen Schwerewirkung aller Gestirne. Hiervon ist für uns jedoch nur die Schwerewirkung der Erde und zum Teil auch die unseres Mondes wahrnehmbar. Denn im Bereiche der Erdoberfläche, in dem unser Leben sich abspielt, ist die Kraft der Erdanziehung. so überwiegend groß, daß dagegen die Schwerewirkung, welche die anderen Himmelskörper dortselbst ausüben, praktisch verschwindet. Abb. 4. Der Verlauf der Schwerefelder der beiden benachbarten Gestirne G1 und G2 ist wie in Abb. 1 dargestellt, nur daß die Schwerekurve des kleineren Himmelskörpers G2 nach abwärts gezeichnet wurde, weil seine Anziehungskraft der des größeren Gestirns G1 entgegen wirkt. Dort, wo die beiden Schwerefelder einander entgegengesetzt gleich sind und sich daher in ihrer Wirkung aufheben, befindet sich der schwerefreie Punkt. Anders aber, sobald wir uns von der Erde entfernen. Deren Anziehungskraft nimmt in ihrer Wirkung dann fortwährend ab, die der benachbarten Gestirne hingegen beständig zu. Da letztere der Erdschwerkraft entgegen wirkt, muß sich von der Erde aus in jeder Richtung schließlich eine Stelle ergeben, an welcher sich diese Anziehungskräfte der Stärke nach das Gleichgewicht halten. Diesseits dieses Ortes beginnt dann die Schwerewirkung der Erde, jenseits die eines Nachbargestirns zu überwiegen. Man kann dies als praktische Grenze des Schwerefeldes der Erde bezeichnen, ein Begriff, der allerdings nicht streng genommen werden darf, mit Rücksicht auf die große Verschiedenheit und fortwährende Veränderung der Lage der Nachbargestirne gegenüber der Erde. In einzelnen Punkten der praktischen Schweregrenze (im allgemeinen in jenen, welche auf der Verbindungsgeraden zwischen der Erde und einem Nachbargestirne liegen), heben sich die Anziehungskräfte auch der Richtung nach auf, so daß dort völlig schwereloser Zustand herrscht. Eine solche Stelle des Weltraums bezeichnet man als sogenannten „schwerefreien Punkt” (Abb. 4). Allerdings befände man sich daselbst in einem nur unsicheren, rein labilen Zustande der Schwerelosigkeit. Denn schon bei geringstem Abweichen nach der einen oder der anderen Seite, drohte der Absturz, entweder auf die Erde oder das Nachbargestirn. Die freie Umlaufbahn. Abb. 5. Kreisförmiger freier Umlauf eines Körpers um die Erde.
Das Gewicht desselben wird durch die dabei erzeugte Fliehkraft aufgehoben. Er befindet sich daher gegenüber der Erde in einem stabilen Zustand freien Schwebens. Um einen sicheren, stabilen Zustand der Schwerelosigkeit zu erlangen, müßten wir uns der Schwerkraftwirkung auf die zweite Art, nämlich durch Zuhilfenahme von Trägheitskräften entziehen. Dies wird erreicht, wenn der anziehende Himmelskörper also z. B. die Erde, mit entsprechender Geschwindigkeit in einer freien Umlaufbahn umfahren wird (Gravitationsbewegung). Die dabei entstehende, stets nach außen gerichtete Fliehkraft, hält dann der Anziehungskraft das Gleichgewicht, und zwar nur sie allein, wenn die Bewegung kreisförmig ist (Abb. 5), oder gleichzeitig mit noch weiteren hierbei auftretenden Trägheitskräften, wenn die Umlaufbahn eine andere Form besitzt (Ellipse, Hyperbel, Parabel, Abb. 6). Abb. 6. Verschiedene freie Umlaufbahnen um einen Himmelskörper. Nach den Gesetzen der Gravitationsbewegung muß stets ein Brennpunkt der Bahn (beim Kreis der Mittelpunkt) mit dem Massenmittelpunkt (Schwerpunkt) des umlaufenen Himmelskörpers zusammenfallen. Auf ähnliche Weise erfolgen alle Mond- und Planetenbewegungen. Da beispielsweise unser Mond die Erde mit einer mittleren Geschwindigkeit von etwa 1000 Meter je Sekunde ständig umläuft, fällt er nicht auf sie herunter, obwohl er sich in ihrem Anziehungsbereich befindet, sondern schwebt frei über ihr. Und ebenso stürzt auch die Erde nur deshalb nicht in das Glutmeer der Sonne ab, weil sie dieselbe mit einer mittleren Geschwindigkeit von etwa 30 000 Meter je Sekunde fortdauernd umfährt. Durch die dabei erzeugte Fliehkraft wird die Schwerkraftwirkung der Sonne auf die Erde aufgehoben und deshalb verspüren wir auch nichts von ihrem Vorhandensein. Wir sind gegenüber der Sonne „schwerelos“ in „stabilem Schwebezustand“, wir sind praktisch genommen „ihrer Schwerkraftwirkung entzogen“. In je geringerer Entfernung vom anziehenden Himmelskörper dieser Umlauf erfolgt, desto stärker ist dortselbst auch die Wirkung der Anziehungskraft. Desto größer muß daher auch die entgegenwirkende Fliehkraft und demzufolge die Umlaufgeschwindigkeit sein (denn die Fliehkraft nimmt zu mit dem Quadrate der Umlaufgeschwindigkeit). Während Abb. 7. Die Umlaufgeschwindigkeit ist um so größer, je näher zum Anziehungszentrum die freie Umlaufbewegung erfolgt. beispielsweise in der Entfernung des Mondes von der Erde eine Umlaufgeschwindigkeit von nur etwa 1000 Meter je Sekunde genügt, müßte diese für einen Körper, der die Erde nahe der Oberfläche schwebend umlaufen soll, den Wert von etwa 8000 Meter je Sekunde erreichen. (Abb.
7). Um einem Körper diese Geschwindigkeit zu erteilen, ihn also auf solche Weise gegenüber der Erde in einen stabilen Schwebezustand zu bringen und dadurch von der Erdschwere zu befreien, ist ein Arbeitsaufwand von rund 3200 Metertonnen je Kilogramm seines Gewichtes erforderlich.
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