Den nachfolgenden Briefwechsel – von dem, wie vom Monde nur eine Seite sichtbar ist – fand der Unterzeichnete bei einem unruhigen Kopfe, der selbst in seinem Tode die Narrheiten noch nicht lassen konnte. Nächtlich ward ich aus meinem Schlafe durch ein ungewöhnliches Lärmen und Poltern aufgeschreckt, und vor einigen Monaten gelang es mir in einer mondhellen Stunde zwei Schädel über die Gräber des Friedhofes tollen zu sehen, die sich bald zu necken, bald zu küssen, erst zu verfolgen, dann wieder sich zu nähern schienen. Ich trat heran, und bemerkte an beiden silberweißen Schädeln einen seltsamen Schmuck, die Augen- und Ohrhöhlen waren mit Blumen besteckt, der eine trug zwischen seinen Zähnen eine Rose, der andere eine Lilie. Ich mochte aber den Spuk nicht länger ertragen, und schlug nach §. 7 meiner Bestallung, die mir erlaubt, jeden Ruhestörer von der mir anvertrauten Stätte mit den gerade zu Gebote stehenden Mitteln zu vertreiben, dem Rosenritter mit meinem Spaten die Hirnschale von einander, die Lilie entsprang, und in meinem scharfen Eisen saßen die nachstehenden Briefe, hier und da durch den Hieb verletzt, was der Kenner an seinem Orte finden und meinem Eifer zu Gute halten wird. Doch sind diese Briefe nach dem Urtheile sachkundiger Männer – es besuchen mich deren, um ihren Sinn fürs Schauerliche bei mir zu üben – nicht so merkwürdig, als ein Rechtsstreit, den sie veranlaßt haben. Ich konnte nämlich nicht umhin, den nächtlichen Vorfall meinen Vorständen zu melden, ja es fanden sich sogar Proceßlustige, die mich des Todtschlags angeklagt hätten, wenn nur über den Mord eines erweislich Todten ein Gesetz vorhanden gewesen wäre. Es handelte sich nun aber um die Herausgabe dieser Briefe, und der Arzt unseres welthistorischen Instituts stritt mit dem Prädicanten desselben, wem das Recht der Vorrede gebühre. Jener wollte das unläugbare Factum der Seelenstörung an unserem Briefsteller durch seine Vorliebe für Verhältnisse des Lebens, die mit dem Materiellen alle Verbin dung aufgehoben hätten, erklären, und freuete sich über diese passende Gelegenheit zu einer psychologischen Dissertation so ausnehmend, daß ich mir seine Erbitterung denken kann, als das Recht der Vorrede von unserem Magister reclamirt wurde. Er habe – darauf stützten sich des Letztern Behauptungen – über diesen merkwürdigen Fall schon mehrmal vor seiner Bedlamitischen Gemeinde gepredigt, habe nachgewiesen, wie hier die Verrückung ihren Erklärungsgrund in Nichts Anderem fände, als in dem von ihm bemerkten geringen Grade christlicher Gesinnung, in dem gänzlichen Mangel an Sinn für das Ewige und Unsterbliche, und er müsse die Vorrede als eine Art Belohnung ansprechen, da er durch seine Reden über dies Thema schon viele Glieder der Gemeinde veranlaßt habe, sich ähnliche Briefe, aber voller Salbung und Hingebung an die bestehenden Formen der Erde und des Himmels zu schreiben. Ich hab’s schon gesagt, daß aus diesen vermeinten Rechtsansprüchen ein Proceß von größter Bedeutung entstanden ist, und da die Theilnahme des Publicums sich schon so lebhaft für ihn ausgesprochen hat, so werden hiermit diese Briefe als corpus delicti bekannt gemacht. Dies bescheidene Vorwort wird von dem künftigen Sieger durch eine tiefere und gehaltvollere Vor- oder vielmehr Nachrede ersetzt werden. Ich selbst wage über den streitigen Punkt nur die schwache Vermuthung, daß vielleicht die Kirche ihr Recht wird geltend machen. Durch Veränderung eines einzigen flüssigen Buchstaben wird jedes Lazareth zu einem Nazareth, so wie Bedlam zu Ehren Bethlehems, der Kleinsten in Juda, gegründet ist. Den freundlichen Gruß an den Leser behalte ich zurück. Er könnte ihn für Beleidigung halten; nicht des Todes wegen, weil die Behauptung, wir müßten Alle sterben, viel Wahrscheinlichkeit für sich hat; wer möchte aber auf meinem Kirchhofe ruhen wollen? Jonathan Kennedy, Todtengräber zur St. Bethlehemskirche des Bedlam in London. Erster Brief. Wenn ich von meiner Freundin schriftliche Ergüsse ihrer Liebe erhalte, so sollte sie billig selbst nicht ausbleiben, um Zeuge der Aufnahme zu sein, die ich ihnen angedeihen lasse. Wie die Flammen mir zur Seite aufprasseln! wie die Düfte des wohlgefälligen Brandopfers in die blaue Ferne des Himmels wirbeln! Mit andächtigem Entzücken kniee ich an den Stufen des Altars, auf dessen Oetahöhen sich Dein gesammelter Briefwechsel dem Herculischen Opfertode weiht, um wie der entfesselte Gott am Mahle der Unsterblichen Theil zu haben. Hörst Du denn nicht in dem Resonanzboden Deiner Thäler das siebenfache Echo meiner Gesänge, wenn ich durch die dunkeln Laubengänge ziehe, die Urne mit Deiner epistolarischen Phönixasche in der Hand, wie ich des Augenblicks lausche, da sich der Vasendeckel – ein Sargdeckel zum Leben – hebe, und der Wundervogel seine goldenen Schwingen ausbreite? Noch ist Alles, was Du denkst, für mich Traum; in dem Zauber Deines Geistes schlaf’ ich wie im Kelche einer Lotosblume. Schon senkt sich auf mein dunkles Auge Dämmerung nieder, nicht Dämmerung zur Nacht, sondern Morgengrauen. Jeden Deiner Briefe ehr’ ich dadurch, daß ich ihn für die Liebe halte, die sich an meinem Grabe opfert. Wie eine Glocke häng’ ich dann im brennenden Stuhle des Thurms, und läute fort in meinen bangen, pochenden Herzensschlägen, immer leiser und dumpfer, bis ich schmelzend verstumme. Mit dem Aschenkruge Deiner Briefe, Geliebte, will ich die Alpenhöhen erklimmen, und hoch über den Wolken die Wimpel meiner Gedanken lustig flaggen lassen.
Der kleine Kreis dieser Grotte beengt mich. Ein Glühwurm leuchtet wie aufs weiße Papier. Ein Schmetterling setzt sich wie ein Wetterhahn auf die Fahne meiner Schreibfeder. Eine Nachtigall muthet meinem Sinnen gar zu, daß ich ihre Sangesweise zum Thema, und meine Empfindungen zu dessen Variationen mache. Du hast mir ein Boot geschickt, auf dem wir eine ferne Insel suchen wollten. Aber warum ist der Mast auf ihm nicht so hoch, daß ich die Welt im verjüngten Maßstabe sehe? daß ich einen Punkt habe, von dem ich Alles und Alles zugleich sähe? warum ist überhaupt kein Mast darauf? Du wirst mich ungeduldig nennen, Deine Liebe wird mich tadeln wollen, aber ich bin ein Kind meiner Zeit, und heut’ einmal gerade stolz darauf. Gegen die Wind- und Wetterhosen, in denen die Jahrhunderte über die Erde schreiten, gehen wir ewig in den Kinderröcken, und treten die ersten Schuhe nicht aus. Die größten Ideen, die die Geschichte aufweisen kann, waren für die, die in ihnen lebten, nur Spielzeug. Ich werde die Wahrheit nie lieben, ohne auch an ihr meine Freude zu haben. Und da das Letztere in unsern heißen Tagen unmöglich ist, so wird die Wahrheit, wenn nicht gehaßt, doch nicht gesucht. Es fehlt unserer Zeit ein Ideenhanswurst, ich vermag die Tage, die einen solchen besaßen, zu preisen, und bin mit der Gegenwart doch zufrieden. Du sprachst die Wahrheit. Es lebten einst Völker, die jedes Wort aus dem Munde ihres Richters, jede begeisterte Rede des Propheten auf die unmittelbare Eingebung eines göttlichen Geistes zurückführten. In die Schatten geweihter Höhlen legten sich die Völker mit allen ihren Schmerzen und Freuden hin, und im Traume nahte sich ihnen der Gott, der die Leiden linderte, und die Glücklichen nur an den Wankelmuth des Glückes, nie an das geringere Verdienst, so glücklich zu sein, erinnerte. Für eine verhüllte Sage aus dem verachteten Judäa, für ein über Länder und Meere nur dämmerndes Licht himmlischer Hoffnungen legten einst Tausende im fernen Occident ihre Häupter auf den blutigen Henkersblock. Für die Erlaubniß, mit seinem Munde ein geweihtes Brod berühren zu dürfen, stieg ein Kaiser von seinem Throne, warf ein härenes Gewand um, und litt Tage lang büßend den harten Frost des Winters. Wenn ich von solchen Betrachtungen mein Auge aufschlug, so nahm ich ein Licht, und suchte in der Welt vergebens einen Gedanken, für den noch einige Hundert zu sterben bereit wären. Ein Anderer, Du z. B., würdest das Licht ausgelöscht, und Dich in die tiefe Nacht Deines Schmerzes begraben haben, mich erfüllte diese Täuschung nur mit Entzücken; denn ich liebe diese Zeit, weil ich Ungebundenheit, Zerstörung, Auflösung liebe. Du hast mir ein Boot gesandt, um mit mir aus der Welt zu fliehen. Aber man muß ein Ruder haben, mit dem man durch die Wogen steuert. Man muß ein Segel aufziehen können, um dem Winde eine solche Richtung zu geben, daß man dabei sein Fortkommen hat. Die allgemeine Verwirrung der Gegenwart läßt sich darum so leicht verstehen, weil überhaupt kein Gesetz herrscht, weil Jeder das Bedürfniß fühlt, sich verständlich zu machen. Jetzt, da kein Gedanke mehr an der Spitze steht, vor dem die Völker sich in den Staub würfen und anbeteten, hat eine jede Meinung das factische Recht ihrer Gültigkeit.
Kein geheimnißvoller Spruch wird jetzt noch Tausende zu Handlungen verleiten, die sie hinterher meist immer bereut haben; und wenn es heilige Gräber wieder zu erobern gibt, so liegen sie in dem gelobten Lande der eigenen Brust. Kreuzzüge unternehmen jetzt nur Skeptiker, und selbst die sind schon aus der Mode gekommen. In den Processen der Gährung und Zersetzung ist der befriedigendste Standpunkt die völlige Unbefangenheit. Wer über einen Abgrund einen Unglücklichen schweben sieht, den er doch nicht retten kann, macht seinen Fall nur um so fürchterlicher, je länger er ihn an dem Zipfel seines Rockschooßes zurückhält: der Fallende sammelt so eine größere Schwere als er im ersten Augenblicke seines Sturzes gehabt hätte.
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